piwik no script img

Insolvenz bei Bierdeckelproduzent KatzWeißer Rand zum Anschreiben

Katz, der weltweit größte Bierdeckelproduzent, ist insolvent. Doch die 150 Mitarbeiter im badischen Weisenbach sehen das als Chance für einen Neuanfang.

Qualitätskontrolle ist wichtig. Das Bier soll ja gut stehen auf den Deckelchen. Bild: dpa

In der Kneipe bestellt German Miles erst mal einen Bierdeckel. Zumindest, wenn nicht schon einer daliegt. Mit dem rechten Zeigefinger fährt Miles am Rand des Deckels entlang. Er sucht nach Kanten, die beim Ausstanzen entstanden sind. Dann pult er das bedruckte Deckpapier oben und unten ab. Wenn es keine Stanznasen gibt und innen eine einzige feste Pappschicht steckt, dann ist er zufrieden, dann ist der Bierdeckel einer von ihnen, von Katz, Weisenbach, Baden.

Die Chance ist groß, dass German Miles einen Bierdeckel erwischt, den er selbst bedruckt hat. Denn die Katz Group ist Weltmarktführer bei "Glasuntersetzern aus Pappe". Der 56-Jährige leitet die Druckereiabteilung, er und seine rund 150 Kollegen stellen fast drei Viertel der sechs Milliarden Bierdeckel her, die weltweit jährlich produziert werden. Im Jahr 2007 machte die Katz Group einen Umsatz von 45 Millionen Euro. Weisenbach, der 2.600-Einwohner-Ort im Schwarzwald, ist der Hauptsitz und Ur-Produktionsort der Unternehmensgruppe, die insgesamt sechs Standorte hat: in den USA, Belgien, England, Sachsen und eben dort, am Ortsausgang Richtung Freudenstadt, direkt am Fluss Murg, zwischen dunklen Rauschebäumen. German Miles arbeitet seit 34 Jahren in der Firma, sein Elternhaus steht hundert Meter entfernt auf der anderen Flussseite. Englische Geschäftspartner fragen schon mal, ob er Engländer sei, seines Namens wegen, der dann so was wie "Deutsche Kilometer" heißen würde. Aber German Miles rechnet nicht in Meilen, er rechnet in Stück. Zehn Millionen Bierdeckel pro Tag - dann geht er mit dem Gefühl nach Hause, richtig was geschafft zu haben.

Irgendwann hat er gemerkt, wie es immer weniger wurde, was bei ihm da durch die drei Druckmaschinen läuft, und er immer unzufriedener nach Hause ging. Im April kam dann die Nachricht, die er und seine Kollegen eigentlich schon erwartet hatten. Die Katz Group vermeldete die vorläufige Insolvenz, produziert wird trotzdem weiter. "Ich sehe das eigentlich positiv", sagt German Miles. Es ist die Hoffnung auf einen Neuanfang. Auch wenn die äußeren Umstände unwirtlich sind: Unter anderem das Rauchverbot hat den Bierkonsum immer mehr gedrosselt, die großen Brauereien kaufen laufend Konkurrenten auf, und um das zu finanzieren, sparen sie. Auch an den Bierdeckeln. Bei Katz wären deshalb dringend Investitionen und ein Strategiewechsel hin zu anderen Pappeprodukten nötig gewesen. Doch der Katz-Hauptgesellschafter, das Private-Equity-Unternehmen EquiVest GmbH & Co Beteiligungs KG, konnte sich mit den Banken nicht einigen.

So viele Geschichten lassen sich dort in Weisenbach erzählen. Davon, wie die Globalisierung in den Schwarzwald kam, mit ihr die Heuschrecken, die Insolvenz, die nun ein Neuanfang sein kann. Davon, dass man von Baden aus die Welt beherrschen kann, den Markt, zumindest den für Bierdeckel. Und vor allem wie ökologisch ideal: vorne der Holzstamm rein und hinten der Bierdeckel rauskommt, in Stapel abgepackt, versandfertig für Singapur, Tschechien, Korea, Thailand, Belgien, Malaysia, Ägypten und für den größten Markt: Deutschland.

Im Murgtal reihen sich die Papier- und Pappefabriken am Ufer des kleinen Flusses entlang aneinander bis nach Baden-Baden, das etwa eine halbe Autostunde entfernt ist. Im Jahr 1716 wurde Katz hier als Sägewerk gegründet, 1903 hat Casimir Otto Katz den ersten Bierdeckel industriell gefertigt - ein zufälliges Abfallprodukt der Holzschwellen für die Eisenbahn, die Katz eigentlich herstellte. Die Bierdeckel aus Holz waren hygienischer als ihre Filz-Vorgänger, die sich mit dem Kondenswasser und herablaufendem Bierschaum vollsogen, bald sehr stanken und lange zum Trocknen brauchten. Die Pappdeckel halten nicht nur drunter Wasser und obendrauf Mücken ab, als Werbeträger jubeln sie den Menschen in der Kneipe Botschaften unter.

Vor den Firmengebäuden nimmt ein Tiger in Schwarzweiß die Besucher ins Visier. Es ist das Logo der Katz Group, Raubkatze auf schwarzer Fläche. Früher stand dort ein Mosaik aus Bierdeckeln und zeigte sofort, was in den Hallen dahinter produziert wird. Mit den weltweiten Zukäufen und den Privat-Equity-Besitzern kamen auch die englischen Begriffe. German Miles wurde "Production Manager", die Bierdeckel heißen "Coaster". Im Unternehmen sagt das keiner gern. "Ich sag dr Bierdeggl", sagt Miles. "Weizen drauf und fertig".

Weizen auf Deckel, vorher Holz rein, Deckel raus - ganz so einfach ist es nicht. Auf dem Hof riecht es nach Harz und Rinde. Hoch gestapelt liegen die zwei Meter langen Fichtenstämme da, Durchforstungsholz, das ohnehin gefällt werden musste. Wie in einer Waschmaschine werden die Stämme in einer riesigen Trommel rund zehn Minuten aneinandergerieben und dadurch entrindet, am Tag sind es an die 300 Raummeter Holz.

Über Fördersysteme kommt es in die Halle, in der ein ohrenbetäubender Lärm herrscht. An zwei großen Ketten rattern die Stämme hinab auf einen rund zwei Meter breiten Schleifstein, mit dem das Holz zerrieben wird. Der nun entstandene Holzschliff wird mit Wasser vermischt, ohne das gar nichts geht bei Bierdeckeln, weder drin noch drauf. Das Wasser wird bei der Produktion ständig wiederverwendet, lediglich was verdampft, wird ersetzt. Wie eingespeicheltes Brot sieht die nun entstandene Masse aus. Sie wird mit Abfällen, die beim Ausstanzen der Bierdeckel entstanden sind, vermischt, plattgewalzt und getrocknet.

Fast 50 schwülheiße Grad herrschen in der Halle, in der die rund 50 Meter lange Papiermaschine steht. Auf eine Dicke von 0,9 bis 2,5 Millimeter presst sie die Pappe, je nach Kundenwunsch. Oben und unten wird eine Deckblattschicht aufgezogen, die bedruckt wird.

Das ist German Miles Reich. Über Druck- und Stanzmaschinen herrscht er - und versucht, die Wünsche der Kunden umzusetzen. "Wir können alles oder wollen alles machen", sagt er. Schließlich müsse Katz sich abheben von der Konkurrenz und die Kunden zufriedenstellen, gerade in der jetzigen Situation. Mit dem Sechs-Farben-Offsetdruck ist jedes Motiv denkbar, dazu gibt es an die 400 Deckelformen.

Wie viele tausend unterschiedliche Bierdeckel so entstehen, das weiß kaum jemand so genau wie Margot Duwe. Die 60-Jährige arbeitet seit 44 Jahren bei Katz im Verkauf, manche Kunden, vor allem kleine Brauereien in Bayern, betreut sie auch schon fast genauso lange. Wegen ihrer Arbeit bei Katz denken Margot Duwes Freunde, sie sei besonders gut in dem Spiel, in dem man mit einer Hand einen möglichst hohen Bierdeckelstapel von der Tischkante hochschubsen und dann auffangen muss. "Aber darin bin ich ganz schlecht", sagt Margot Duwe. Sie habe anderes zu tun, als mit den Untersetzern zu spielen. Aus einem bis zur Decke reichenden Schrank hinter sich holt sie stapelweise Bierdeckel hervor: welche in Landkartenform, mit Glitzerfolie überzogene oder in 3D, zum Ausklappen, ein Deckelhäuschen zum Zusammenbauen und einen, der aussieht wie von einem Hai angebissen. Ein Erotikversand zeigt Sex-Stellungen, die DKP druckt gleich einen Mitgliedsantrag drauf und auf einem Bierdeckel der Sparkasse kann man den staatlichen Rentenzuschuss ausrechnen. Es gibt Felder zum Aufrubbeln, Spielsteine zum Rausbrechen und einen Fußball-Fancoaster, von dem sich schwarze, rote und goldene Farbe nehmen und sich ins Gesicht schmieren lässt.

Mit dem, was man für eine halbe Minute Fernsehwerbung zahlt, lässt sich eine Lkw-Ladung voll Bierdeckeln finanzieren, sagt Margot Duwe. Tausend Bierdeckel kosten je nach Ausführung neun bis zwölf Euro. Drei Viertel der Katz-Kunden sind Brauereien, dazu kommen Werbeagenturen und Gastronomen.

"Bloß nicht sammeln!", so schützt sich Margot Duwe vor der Deckelflut. Nur ein paar mit besonders schönen Blumenmotiven hat sie zu Hause als Glasuntersetzer. Dabei könnte sie fast eine Kulturgeschichte des Bierdeckels schreiben. "Die deutschen Kunden sind eher traditionell in ihren Motiven", erzählt sie. Viele kleine Privatbrauereien lassen die Deckel im Buchdruckverfahren noch so bedrucken wie vor zwanzig Jahren. Und ohne weißen Rand ginge gar nichts - zum Anschreiben. In Asien bevorzugt man wegen der hohen Luftfeuchtigkeit besonders dicke Deckel, in England dagegen besonders dünne, die oft einen "Dont drink and drive"-Hinweis aufgedruckt haben. Die Belgier mögen nur einseitig bedruckte Untersetzer und die Iren haben außergewöhnlich hohen Verbrauch. Was daran liegt, dass es früher ein Gesetz gab, wonach der Deckel sofort nach Leeren des Glases zerknüllt und quasi als Rechnung aufbewahrt werden musste. Nach Frankreich liefert Katz zwar auch Bierdeckel, "aber sehen tut man die nie in den Bars", sagt Margot Duwe.

Seit Längerem bemüht sich Katz, neue Märkte zu erschließen. Den chinesischen etwa. Jeder Chinese ein Bierdeckel, so lautete die Devise. Doch eine Tradition lässt sich nur schwer überstülpen. "Das dauert noch Jahrzehnte. Wir werden das nicht mehr erleben", sagt Margot Duwe zu ihrem dreißig Jahre jüngeren Kollegen. Aussichtsreicher ist da schon die Erweiterung des Angebots. Deckel und Böden für Käseschachteln stellt Katz her, außerdem Werbeplakate und sogar Messerbänkchen, Serviettenhalter und Telleruntersetzer aus Pappe. Auch das "Kulturgut Bierdeckel" wie German Miles es nennt, wird leicht verfremdet - für Wein, Alcopops, Apfelschorle. Richtig durchgesetzt hat sich das allerdings noch nicht.

Bis 1. Juli soll sich nun entscheiden, was mit dem Unternehmen passiert. Rund 60 Interessenten gibt es. German Miles und seine Kollegen sind voller Hoffnung, darauf, dass endlich mal jemand Geld reinsteckt - und nicht nur Renditen rauspresst. Auch das Geschäft zieht langsam wieder an. Das zweite Quartal ist fast schon wieder auf Vorjahresniveau. "Bislang ging es immer aus der Tiefe raus in ein schönes Hoch rein", sagt German Miles. Damit er noch lange bei jedem Bierdeckel den Katz-Test machen kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • JK
    Juergen K.

    In der Wirtschaft läufts auch nicht mehr.

    Auch wenn Mißfelder anderes behauptet.