Insolvente Warenhauskette vor dem Aus: Hertie will 19 Filialen schließen
Die Warenhauskette Hertie will offenbar 19 ihrer 73 deutschen Filialen schließen. 650 Mitarbeiter müssen um ihre Arbeitsstelle bangen.
ESSEN dpa Die insolvente Warenhauskette Hertie plant tiefe Einschnitte in ihr Filialnetz und will 19 ihrer 73 deutschen Filialen schließen. Betroffen sind 650 der derzeit noch rund 3400 Mitarbeiter des Unternehmens. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur dpa am Dienstag aus gut informierten Kreisen.
Bis zur Übernahme durch Karstadt (heute Arcandor) 1993 war Hertie einer der führenden Warenhauskonzerne Deutschlands. Nach dem Weiterverkauf an einen britischen Investor im Jahr 2005 blieb nur der traditionsreiche Name einer angeschlagenen Firma übrig. Jetzt soll das Unternehmen weiter schrumpfen.
Die wechselvolle Firmengeschichte von Hertie begann 1882. Damals eröffnete Oscar Tietz, ein Bruder des Kaufhof-Gründers Leonard Tietz, in Gera ein Geschäft für Garn, Knöpfe und Wolle. Kapital- und Namensgeber der Firma war sein Onkel Hermann Tietz. 1927 waren bereits 13 000 Menschen bei Tietz beschäftigt. Allein in Berlin unterhielt das florierende Unternehmen zehn große Warenhäuser, darunter das Kaufhaus des Westens (KaDeWe). Beim 50-jährigen Firmenjubiläum 1932 war Tietz der größte Warenhauskonzern Europas.
Mit der Weltwirtschaftskrise und der Machtübernahme der Nazis kamen die Probleme. Georg Karg, ein früherer Tietz-Einkaufsleiter, wurde von den Banken zunächst als Geschäftsführer eingesetzt. Im Zuge der Arisierung übernahm er das Unternehmen. Weil der jüdische Name Hermann Tietz nicht mehr geführt werden durfte, firmierte das Unternehmen ab 1935 unter dem Kürzel Hertie.
Als Hertie 1993 vom Karstadt-Konzern übernommen wurde, unterhielt das Unternehmen 307 Warenhäuser und Fachgeschäfte sowie Beteiligungen an anderen Unternehmen. Nahezu alle Filialen wurden von Hertie in Karstadt umbenannt. Im Sommer 2005 verkaufte KarstadtQuelle 74 kleinere Warenhäuser ("Karstadt Kompakt") an britische Finanzinvestoren. Diese suchten für die Kette den traditionsreichen Namen Hertie aus. Derzeit werden 73 Standorte betrieben. Ende Juli 2008 hatte Hertie wegen Finanzproblemen des damaligen britischen Haupteigentümers Dawnay Day Insolvenz angemeldet. Der Insolvenzverwalter Biner Bähr sucht seitdem nach einem Investor für den Kern des Unternehmens.
Schwerpunkt der Schließungen ist Nordrhein-Westfalen. Dort sollen allein zwölf Warenhäuser geschlossen werden. Die Schließungen sollen voraussichtlich bis Ende März abgewickelt werden. In der Essener Zentrale des Warenhausunternehmens werden nach den Informationen 30 von 125 Arbeitsplätzen gestrichen.
Das Unternehmen hat die Beschäftigten für den Dienstagabend an allen 73 Standorten sowie in der Essener Zentrale zu Betriebsversammlungen eingeladen. Zu den Inhalten wollte ein Unternehmenssprecher am Dienstag auf Anfrage keine Stellung nehmen.
In Nordrhein-Westfalen sollen die Standorte, Bocholt, Duisburg- Walsum, Erkrath, Eschweiler, Essen-Altenessen, Essen-Borbeck, Herdecke, Herne, Köln-Chorweiler, Lünen, Marl und Mettmann geschlossen werden. In Niedersachsen stehen die Häuser in Hameln und Delmenhorst auf der Liste, in Schleswig-Holstein die Standorte in Niebüll und Mölln, in Bayern Aschaffenburg, in Hessen Kassel sowie das Hertie-Warenhaus in Hamburg-Langenhorn.
Wenn bis Ende Februar keine Lösung mit einem Investor gefunden werde, sei das gesamte Unternehmen bedroht, hieß es. Dies könne das Aus auch für die derzeit noch verbleibenden 54 Filialen bedeuten. Verhandelt werde derzeit vor allem über die Warenhaus-Immobilien, die der britische Investor und Eigentümer Dawnay Day von dem operativen Warenhausgeschäft abgetrennt hatte.
Im vergangenen Jahr habe die Warenhauskette einen Verlust von rund 50 Millionen Euro gemacht, hieß es. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise sei der Konsum in den vergangenen Monaten eingebrochen. Auch im Jahr 2007 hatte Hertie bei einem Umsatz von rund 450 Millionen Euro bereits rote Zahlen geschrieben.
Das Unternehmen hatte vor knapp einem halben Jahr Insolvenz angemeldet. Erst im November hatte das Unternehmen eine weitere Filiale im bayerischen Straubing eröffnet. Hertie war 2005 von britischen Finanzinvestoren von dem ums Überleben kämpfenden damaligen KarstadtQuelle-Konzern (heute Arcandor) übernommen worden.
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