Insel-Lichtspiele: Kino und Meer
Während auf dem Festland die nächste Schließungswelle rollt, lebt auf den Inseln eine Kino-Kultur, die auch von besonderen Spielstätten profitiert.
Da haben sie mal ein glückliches Händchen gehabt, auf Spiekeroog, das muss man ihnen lassen. Denn im neuen Marco-Polo-Reiseführer Ostfriesische Inseln steht zwar, dass alle von denen ein Kino hätten, außer Baltrum, wo Filme nur zweimal die Woche in der Mehrzweckhalle des „Haus des Gastes“ auf Großleinwand laufen, und eben Spiekeroog. Und das ist auch im Erscheinungsjahr 2014 so korrekt gewesen. Denn, als er vor ein paar Jahren, so erzählt Kurdirektor Patrick Kösters, auf die Insel gekommen sei, da habe „kurz darauf der alte Kinobetreiber aufgegeben“, wie frustrierend. „Och nö, habe ich gedacht“, sagt Kösters, und dann sei auch eine Weile ein Nachfolger gesucht worden. Aber vergeblich.
Jetzt jedoch, ausgerechnet jetzt, im verregneten Sommer 2015, wo sich zwar wie jedes Jahr diejenige Hälfte Nordrhein-Westfalens, die nicht nach Mallorca fliegt, über die sieben Sandkleckse im Schlick vor der niedersächsischen Küste verteilt hat, mit dem Vorsatz Strandurlaub zu machen, bloß dieses Sauwetter ...
Na ja, also ausgerechnet seit diesem Frühjahr 2015 haben sie auch auf Spiekeroog wieder ein Kino. Eröffnet hat es im März. Und das ist schon eine gute Sache, denn wenn draußen einfach nur Scheißwetter ist und zu kalt fürs Meer, ist Kino dann doch etwas, wo man sich hinbewegen kann. Und es etwas anderes als im Hotelzimmer oder in der Ferienwohnung den hippen Flachbildfernseher einem Belastungstest zu unterziehen. Weil: Kino, das ist Atmosphäre. Kino, das ist etwas erleben – mindestens genug, um die Strandunlust runterzudimmen, den Badefrust zu überspielen und den Inselkoller einzudämmen.
Weshalb es ja, obwohl die Orte dafür im Prinzip zu klein sind, auf fast allen Inseln Kinos gibt. Und während auf dem Festland gerade die nächste Schließungswelle durch die Dörfer und Gemeinden rollt, hat man auf Wangerooge vor drei Jahren den Schritt in die Digitalisierung gewagt, und die Kurverwaltung auf Spiekeroog hat das jetzt in die Hand genommen, und investiert: Einen niegelnagelneuen Saal haben sie gebaut, inklusive Popcorn und Prosecco-Bar im Foyer: „Ich sag mal, wir haben hier eine Insel“, so Kösters, „die nicht wirklich hässlich ist“ – eine kokette Untertreibung angesichts von Spiekeroogs sonstigem Puppenstubencharme. „Das Kino, fanden wir, musste dazu passen.“
Also hat man bei dem EU-geförderten 300.000-Euro-Projekt eben auch in jenen notwendigen Schnickschnack und unverzichtbaren Luxus investiert, dessen Nutzen so unklar und dessen unschätzbare Bedeutung man im Wort Ambiente zusammenfasst: Okay, die 111 Sitze sind keine Klappsessel, und über den Licht-Farbwechsel, der vor Filmbeginn die Raumstimmung Richtung Biosauna verschiebt, kann man sicher geteilter Meinung sein. Aber dass man für 8.000 Euro einen Vorhang hat einbauen lassen, der, im verlöschenden Saallicht mit einem magischen Rauschen die Leinwand freigibt – doch, doch, der ist jeden Cent wert.
Den Inselkino-Bedarf entdeckt und als Marktlücke genutzt hatte Ende der 1960er- Jahre der Kieler Freymuth Schultz, als er nach Borkum zog. Zuvor war er Chef der Bahrenfelder Lichtspiele in Hamburg gewesen. Auf Borkum suchte man nach einem neuen Inhaber und Betreiber fürs Kur-Filmtheater. Schultz griff zu – und machte es zur Zentrale einer kleinen Kinokette, die Vereinigten Lichtspiele, die ein paar Ableger auf dem Festland hat. Ihr Kerngeschäft aber sind die Inseln und deren cineastische Bedarfe: Den Vertrieb besorgte ein eigener Kinoflieger. Bis nach Holstein rauf, zur Ostsee, nach Fehmarn, flog der die Kopien, auch nach Nordfriesland – Amrum, Föhr, Pellworm – plus Lageoog, Juist und Borkum.
Und auch Wangerooge, wo das in einem netten Familienhotel untergebrachte Kino an sich schon einen Besuch wert ist. Der Saal ist ein Denkmal und, abgesehen von der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, vermutlich das beste, was der Zweite Weltkrieg hervorgebracht hat. Auf der Insel waren Soldaten stationiert, für die Fliegerabwehrgeschütze. Die mussten unterhalten werden. Und dafür – wurde ein Kino gebaut.
Spiekeroog gehört nicht zu den Vereinigten Lichtspielen, sondern hat sich an Norderney drangehängt. Norderney, das cineastisch wegen des Filmfestivals Emden-Norderney eine herausragende Rolle spielt, hatte sich 1999 aus Schultzes kleinem Imperium in die Unabhängigkeit verabschiedet: Eine GmbH, deren einzige Gesellschafterin die Gemeinde Norderney ist, betreibt das Kino im altehrwürdigen Kurtheater im Tudor-Stil. „Wir stellen unser Programm selbst zusammen“, erklärt Herbert Visser. „Wir wissen aus Erfahrung, was bei unseren Gästen ankommt“, das sei das Entscheidende. „Wir sehen unser Kino sehr konsequent als ergänzenden Bestandteil unseres sonstigen Veranstaltungsprogramms“, sagt Visser. „Kino ist auf Norderney großes Theater.“
Tatsächlich ist die Situation von Inselkinos eine besondere. Konkurrenz gibt es nicht und auch, wenn selbstredend auch Insulaner die Lichtspieltheater nutzen – die meisten Besucher sind im Urlaubs-Modus. Und da ist es eben egal, wenn der Film daheim in Köln oder Dortmund schon seit Wochen abgespielt ist. „Oft ist es auch so, dass die Leute in der letzten Zeit nicht mehr ins Kino gekommen waren – und sich freuen, den jetzt hier in den Ferien sehen zu können“, sagt Visser.
Könnte man vielleicht etwas mutiger programmieren? „Wir machen hier Urlaubskino“, sagt Visser. Man achte auf Qualität, aber künstlerisch „extreme Sachen überlassen wir den Programmkinos“, sagt er. Ein Schwerpunkt liegt, logisch, auf Kinder- und Familienfilmen, es gibt moderat nachdenkliche Dramen wie „Honig im Kopf“ und „Sex und Crime funktioniert bei uns nicht.“ Wobei, kommende Woche läuft auf Spiekeroog „Terminator 3“. Aber – na ja: Es muss halt von jeder Regel mindestens eine Ausnahme geben.
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