Innovative Verkehrsplanung: Endlich ein Raum für alle
Osterholz bekommt Bremens erstes Shared-Space-Projekt – fünf Jahre nachdem die Bürgerschaft die Suche nach einem geeigneten Platz beschlossen hat
Die schlechte Nachricht ist: Es steht noch gar nicht fest, wann mit dem Umbau begonnen werden kann. Noch sind bürokratische Hürden zu nehmen und demokratische, die Deputation muss zustimmen, dann erst kann die Finanzierung ausgetüftelt und eine Ausschreibung lanciert werden. Aber fest steht: Der Bereich, in dem die St. Gotthard- und die Tessiner Straße aufeinander treffen, soll zu einem gemeinsamen Verkehrsraum umgestaltet werden. Und: Es gibt eine klare Vorstellung, wie das aussehen soll. Und darauf hat ganz Bremen schon lange gewartet.
Tessiner Straße? St. Gotthard? Das liegt da, wo früher die Linie 1 zu Ende war: Es ist eine Kreuzung in Osterholz Zentrum, die eigentlich ein Platz sein müsste, der das bislang aber gut verbirgt. Hier draußen soll Bremens erstes offizielles Shared-Space-Projekt realisiert werden. Die Umgestaltung basiert auf den Entwürfen der Landschaftsarchitekten des Büros Henke + Blatt, Sieger im städtebaulichen Wettbewerb. Mit denen gemeinsam, von einem eigenem Fachbeirat betreut, haben es interessierte BürgerInnen durchmodelliert. Und der Zuspruch war groß: Sechs Planungswerkstätten hat’s seit Januar gegeben, „mittendrin war es ein wenig flau“, sagt Oliver Iversen, vom Amt für Straßen und Verkehr (ASV), „da waren es vielleicht 20“. Sonst aber seien stets „so um die 50 TeilnehmerInnen“ gekommen. Dienstag wird im Beisein vom Bausenator Joachim Lohse (Grüne) das Ergebnis präsentiert.
Es wurde aber auch langsam Zeit: Denn der Bürgerschaftsbeschluss, aus dem das Vorhaben geboren wurde, stammt noch aus der Frühphase der ersten rot-grünen Wahlperiode. Vor etwas über fünf Jahren, am 7. 10. 2008 hatte die Bürgerschaft den Senat beauftragt, nach einem geeigneten Platz für ein Shared-Space-Modellprojekt zu suchen. „Auf Eignung geprüft haben wir 27 Vorhaben“, erklärt ASV-Leiterin Brigitte Pieper: So sei wichtig, dass es sich nicht um eine in erster Linie von motorisiertem Verkehr benutzte Stelle handelt und das, was Verkehrsplaner „zu hohen Parkdruck“ nennen, verträgt sich auch schlecht mit der Idee. „Unseren Kriterien haben dann nur drei entsprochen“, bei zweien davon hätten die Beiräte abgewunken. Und „so etwas gegen Widerstände zu machen, hat keinen Zweck“, sagt Pieper.
Es würde vor allem dem Geist des Verkehrskonzepts Shared-Space widersprechen. Entwickelt hat es der Niederländer Hans Monderman, der am 19. November 68 Jahre alt geworden wäre, und es basiert auf der Idee, dass die wechselseitige Rücksichtnahme dem normalen Verhalten der Verkehrsteilnehmer entspreche. Bloß werde das durch eine Flut von Regeln überdeckt. „Wenn ein Architekt ein Haus entwerfen würde“, so hatte der 2008 gestorbene Ingenieur der taz das erläutert, „und alle Zimmer darin sähen gleich aus, dann würden Sie sagen: ’Der spinnt.‘“
Nach genau diesem Muster aber verfahre die Verkehrsplanung: „Alle Ortsdurchfahrten sollen gleich aussehen“, alles werde durch Zeichen uniform gemacht. Fatal: „Wenn man die Leute ständig anleitet und behandelt wie Idioten“, so Monderman „benehmen sie sich irgendwann wie Idioten. Wen wundert das?“ Seine Konsequenz: Schilder abbauen, den Straßen und den Plätzen ihre Individualität zurückgeben – und so die Straßennutzer zu einem daran angepassten Verhalten zu bewegen. Was eben nicht nur schön klingt, sondern auch meist die Unfallzahlen stark gesenkt hat – im Städtchen Drachten, Provincie Friesland, wo Monderman es in den 1990ern zuerst ausprobiert hat, um 71 Prozent. Und um 61 in der Metropole London, Kensington High Street, seit 2006.
In Deutschland hat es Shared Space schwerer: „Wir sind hier doch sehr stark an Regeln gewöhnt“, sagt Jürgen Gerlach, Professor für Verkehrsplanung an der Uni Wuppertal, der das Projekt in Osterholz begleit hat. Angesichts der teilweisen Entregelung komme „in der Bevölkerung sehr schnell der Gedanke auf: Ich kann mich da nicht mehr sicher fühlen.“
Hinzu kommt, dass die deutsche Shared-Space-Bilanz nicht so glorreich ist: In Bohmte bei Osnabrück ist die Umsetzung nur halb geglückt, weil der Platz, den man umgestaltet und entschildert hat, von durchbretternden Lastern beherrscht bleibt. Anderswo hat man die Planungen aufgegeben, nachdem ein Gericht Duisburg dazu verurteilt hat, die von der Fachwelt gefeierten gemeinsamen Verkehrsräume wieder klar durchzureglementieren und vollzubeschildern. „Die Schwierigkeit ist es, das in unsere Straßenverkehrsordnung einzupassen“, sagt Pieper. In Hamburg scheint das, vier Jahre nach der Planung beim ersten von fünf Vorhaben geglückt zu sein: Im Februar wurde der umgestaltete Weidenbaumsweg in Bergedorf freigegeben.
In Bremen sei man planerisch „dem Optimum schon recht nahe“, so Gerlach. Eine „gute Wahl“ nennt er den Platz, auch „weil die Situation dort derzeit so desolat ist“: Ein Platz, der eben nicht als Platz erkenn- geschweige denn nutzbar ist und die schwachen VerkehrsteilnehmerInnen gleichsam unterbuttert: „Planerisch wird hier jetzt den Radfahrern und den Fußgängern wirklich Raum verschafft.“
Präsentation: 19. 11., 18 Uhr, Aula der Gesamtschule Ost
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