Innere Zweifel an Rot-Grün (2): Mehr Hartz IV?
Wer Rot-Grün oder die Linkspartei und damit unter Umständen mehr Sozialleistungen wählt, der muss deren Missbrauch in Kauf nehmen.
U mverteilung. Mehr Geld für die Armen und Langzeitarbeitslosen. Kann man eigentlich nur dafür sein. Die Grünen fordern eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes von derzeit 382 Euro auf 420 Euro. Die Linkspartei bietet 500 Euro an. Die SPD fordert nur ein „transparentes“ und „sachgerechtes“ Verfahren zur Bedarfsermittlung. Weicheier. Sie wollen sich nicht festlegen.
Aber die Frage nach der Höhe von Hartz IV ist heikel. Erst recht, seit es aufgrund der niedrigen Löhne mühsam geworden ist, durch eigene Arbeit den Lebensunterhalt zu sichern. Wer morgens ab acht für neun Euro die Stunde im Supermarkt an der Kasse sitzt, hasst die Langzeitarbeitslosen, die sich um elf Uhr mit dem Sixpack Bier anstellen.
Zumal man selbst in RTL am Nachmittag Existenzen begegnet, die mit Hartz plus, also mit Arbeitslosen- geld II plus einem Mini- oder Schwarzjob, recht kommod durchs Leben gleiten.
Kennen Altlinke nicht auch jene Existenzen, die in den 80er und 90er Jahren zu lange Arbeitslosenhilfe bezogen, eine Leistung, die sich nach dem letzten Nettoeinkommen richtete? Hat man nicht das dunkle Gefühl, dass sich S., heute Ende 50, vielleicht rechtzeitig von der Illusion einer Künstlerexistenz verabschiedet hätte, wenn sie nicht immer wieder eine ABM oder Stütze bekommen hätte?
Der Verdacht, dass Hartz IV die Arbeitsmoral versaut, ist nicht wegzukriegen. Dabei verdienen Leute, die alternativlos darauf angewiesen sind, jede politische Empathie. So wie der chronisch kranke 45-Jährige, der von Grundsicherung leben muss, mit seiner eingeschränkten Erwerbsfähigkeit aber nie mehr einen Job findet.
Die Wahrheit ist: Wer Rot-Grün oder die Linkspartei und damit unter Umständen mehr Sozialleistungen wählt, der muss den Missbrauch in Kauf nehmen. So wie die Nebenwirkungen eines Medikaments. Die kann man versuchen einzudämmen. Das Medikament aber setzt man deswegen nicht ab.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen