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Innere (Un)SicherheitGesellschaftskritik in dünner Luft

Früher war Linken das Kürzel "Cilip" wohl vertraut. Heute kennen viele den "Informationsdienst Bürgerrechte & Polizei" nicht mehr. Jetzt erscheint Ausgabe Nr. 100.

Manchmal ein fast zu enges Verhältnis: Bürger und Polizei. Bild: DPA

Etwas Vergleichbares gibt es in der Bundesrepublik bis heute nicht: Seit 1978 dokumentiert und analysiert der Informationsdienst Bürgerrechte & Polizei (Cilip) Entwicklungen bei der Polizei in Deutschland und Europa sowie deren Rückwirkungen auf bürgerliche Freiheitsrechte. Oft schon wurde Cilip totgesagt, selbst von seinen Machern und Macherinnen. Und doch: Mit gut halbjähriger Verspätung erscheint in diesen Tagen die 100. Ausgabe. Ein Grund zum Feiern – hinge über der Existenz des Projekts nicht das ewige Damoklesschwert der Finanzierbarkeit. Und obwohl die Abozahlen halbwegs stabil sind, ist Cilip der jüngeren Protest- und Bürgerrechtsgeneration nahezu unbekannt.

Begonnen hatte alles Mitte der 70er Jahre, als der Physiker und Erfinder Georg Zundel im Umkreis der aufkeimenden Friedensbewegung die Berghofstiftung für Friedens- und Konfliktforschung gründete. Neben den gängigen Themen wie Rüstung und Abrüstung, Krieg und Kriegsursachen wurde auch der Forschungszweig „Studien zur inneren Gewalt“ eingerichtet. In diesem Rahmen gründete der Politologieprofessor Wolf-Dieter Narr an der Freien Universität eine Forschungsstelle mit dem schlichten Namen „Polizeiprojekt“. Eines war Narr und seinen jungen Mitarbeitern (Frauen stießen erst viel später dazu) von Anfang an wichtig: Sie wollten keine isolierte, abgehobene Wissenschaft betreiben, sondern suchten die Verknüpfung mit den sozialen Bewegungen.

Hochgesteckte Ziele

Dazu war es notwendig, neben der Forschung einen Informationsdienst zu schaffen, der nach außen wirken und den Bewegungen verlässliche Informationen liefern sollte. Wie es im Überschwang neuer Projekte so ist, waren die Ziele hoch gesteckt: Auch die Vernetzung mit anderen europäischen Projekten und Bewegungen sollte quasi nebenbei erreicht werden. Parallel zur ersten Ausgabe im März 1978 erschien deshalb eine englische Fassung unter dem Titel „Civil Liberties and Police Development“. Die Resonanz war ernüchternd. Ende 1980, nach sieben Nummern, wurde die internationale Version wieder eingestellt. Gehalten haben sich aus dieser Zeit nur kurze englische Zusammenfassungen – und das Kürzel. „Cilip“ hatte sich in den deutschen Köpfen festgesetzt.

Seine Hochzeit erlebte Cilip in den bewegten Achtzigern: Westberliner Häuserkampf, Großdemonstrationen und Auseinandersetzungen um den Bau von Atomkraftwerken, die Volkszählung und ihr Boykott sowie ein Wust ständig verschärfter Sicherheitsgesetze. Cilip wurde Chronist dieser Entwicklungen. Mit der wachsenden Europäisierung rückten auch deren Themen in den Fokus. All das wurde möglich, weil „die Nach-68er-Generation aufmerksam auf Repression reagierte“, sagt Wolf-Dieter Narr, der mit 75 längst emeritiert, aber immer noch dabei ist. In diesem politischen Umfeld habe Cilip „mitbewirkt, dass die innere Sicherheitspolitik und die Rolle der Polizei zum Dauerthema wurden und innere Gewalt ins Zentrum rückte“.

Und so geben die rund 100 Seiten starken Hefte einen guten Überblick über die Geschichte von Bürgerrechtsbewegungen, Polizei und Geheimdiensten, aber auch über deren Kontrollmöglichkeiten in der Bundesrepublik und einem sicherheitspolitisch verfilzten Europa – bis hin zum längst unkontrollierbaren Internet.

Ein weitgehend blinder Fleck musste dagegen die DDR bleiben: Über Volkspolizei und Staatssicherheit waren verlässliche Daten und Fakten einfach nicht zu gewinnen. Was andersherum nicht heißt, dass die Stasi nicht versucht hätte, einen Fuß in die Cilip-Redaktion zu bekommen. Bereits Anfang der 80er Jahre setzte Julius Mader, ein Lohnschreiber des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), viel Ehrgeiz daran, die Sicht seiner Auftraggeber als Autor in die Cilip-Hefte zu tragen. Aber auch der Sprung in die Ex-DDR gelang dem Projekt nicht: Allein in der Schweiz werden noch heute mehr Exemplare verkauft als in den fünf neuen Bundesländern zusammen.

Neben der Arbeit am Informationsdienst, zu der alle MitarbeiterInnen verpflichtet waren, betrieb man kontinuierlich Forschungsarbeit zu den Veränderungen und Verrechtlichungen der inneren Sicherheit. Mehrere wichtige Bücher sind daraus entstanden. Ein Sprungbrett in die universitäre Karriere war Cilip allerdings nie. Soweit sich ihre Spur im Laufe der Jahre nicht gänzlich verlor, sind frühere MitarbeiterInnen heute als Dozenten in anderen Bereichen tätig: als Rechtanwälte oder in großen Bürgerrechtsgruppen wie der Humanistischen Union oder dem Komitee für Grundrechte und Demokratie.

Schätze im Regal

Ein ungleich größeres Problem für das Polizeiprojekt ist die sich verändernde Hochschullandschaft, in der die Luft für gesellschaftskritische Forschung immer dünner wird: Polizeiforschung ist out, das Projekt trocknet aus. Hinzu kommt, dass der Hamburger Mäzen Jan Philipp Reemtsma, der Cilip gesponsert hatte, Ende der 90er Jahre sein Engagement einstellte. Auch das umfangreiche Archiv wird in der Zeit schneller Internetrecherchen kaum noch angefragt. Doch man täusche sich nicht: So manches, was in der Lankwitzer Malteserstraße im Regal schlummert, wird Google nicht liefern können.

Und das mangelnde Interesse der jungen Generation? Nach Ansicht von Wolf-Dieter Narr liegt es vor allem daran, dass „durch Arbeitslosigkeit und die fürchterlichen Hartz-IV-Gesetze eine Perspektivlosigkeit und Individualisierung eingetreten ist“. Spontane und kurzfristige Aktionen sind seiner Meinung nach immer wieder möglich. „Aber die Kontinuität fehlt.“

Unterkriegen lassen wollen sich die Cilip-Macher und -Macherinnen trotzdem noch nicht. Und so ist trotz aller Probleme die 101. Ausgabe des Informationsdienstes bereits in Planung. Möglich wurde das durch Spenden von Stiftungen und Vereinen, die mit der Redaktion politisch eng verbunden sind. Auch die Bundestagsfraktion der Linken hat ihr Schärflein beigetragen. Wie groß der Optimismus in der Malteserstraße ist, verrät der Titel der Jubiläumsnummer, die ab sofort bei den Herausgebern bestellt werden kann: „Hundertmal CILIP – eine Zwischenbilanz“.

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