Innensenator Michael Neumann (SPD) über Innenpolitik: "Kein Abschiebeweltmeister"
Der neue SPD-Innensenator Michael Neumann im taz-Interview über mehr Polizisten und weniger Polizeipferde, humane Ausländerpolitik und die bunte Rote Flora.
taz: Herr Neumann, in der Opposition haben Sie und die SPD stets versucht, die CDU rechts zu überholen. Was müssen wir jetzt von Ihnen in der Regierung befürchten?
Michael Neumann: Die CDU rechts überholt? Da liegt die Wahrheit wohl im Auge des Betrachters. Unsere Aufgabe ist es zunächst, die Sicherheitslage in Hamburg zu verbessern. Sehr rasch wollen wir zusammen mit der Justiz- und der Sozialbehörde ein Konzept für den Umgang mit jugendlichen Intensivtätern erarbeiten. Es soll viele präventive Maßnahmen enthalten, etwa im Bereich von Schule und Berufsbildung. Aber es soll auch das Signale aussenden, dass Regelverstöße nicht toleriert werden und unsere Gesellschaft sich nicht von jugendlichen Intensivtätern auf der Nase herumtanzen lässt.
Der präventive Bereich soll verstärkt werden?
Ja. Dazu gehören auch unsere Angebote, dass jeder Jugendliche einen Schulabschluss machen kann und einen Ausbildungsplatz erhält. Das ist eine klare Stärkung der Prävention. Aber wo das nichts fruchtet, gibt es auch klare Kante Repression.
Dennoch war die Innere Sicherheit Bürgermeister Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung nur eine von 34 Seiten wert. Wird das Thema in Hamburg zur Nebensächlichkeit?
Nein. Wir werden mehr Polizisten auszubilden, um den Personalbestand bei Pensionierungen stabil zu halten. Und es wird keine Schließung von Polizeikommissariaten geben, es kommen mehr Polizisten sichtbar auf die Straßen.
Wollen Sie dafür die Polizeiführung verschlanken?
Es gibt schon Wasserköpfe. Ich habe bereits die Präsidialabteilung der Innenbehörde, also meinen eigenen Stab, um zehn Mitarbeiter verkleinert. Polizei gehört nicht an den Schreibtisch, sondern auf die Straße. Das ist mein Ziel.
Was passiert eigentlich mit Polizeiorchester, Fahrradstaffel und dem Kavallerieregiment?
Ich will pro eingesetzten Euro den höchstmöglichen Nutzen für die Sicherheit in Hamburg. Daran werde ich alles messen. Wie ich bereits hier in der Behörde erfahren durfte, laufen die Verträge für die Reiterstaffel zwei Jahre. Die sofortige Abschaffung könnte demnach teurer werden als ihre Beibehaltung. Ich muss mir das alles genau anschauen, das gilt auch für die Fahrradstaffel. Zu den Haushaltsberatungen des Senats im Frühsommer gibt es eine Beschlussvorlage zum Orchester.
Vier Punkte tauchen in der Regierungserklärung gar nicht auf. Erstens: Islamismus - kein Problem mehr?
Michael Neumann, 41, kommt aus Dortmund, war Berufssoldat, ist Diplom-Politologe und Innensenator. Seit 1997 ist er für die SPD in der Bürgerschaft, seit 2004 als Fraktionschef. Er ist mit Aydan Özoguz, SPD-Bundestagsabgeordnete, verheiratet.
Die Herausforderung gibt es weiterhin. Wir haben da - mit Verfassungs- und Staatsschutz - zwei wachsame Augen drauf.
Zweitens Neonazis: Sind Sie auf dem rechten Augen blind?
Keineswegs. Leider gibt es auch die weiterhin, Dummheit stirbt bekanntlich so schnell nicht aus. Aber auch da schauen wir mit zwei wachsamen Augen drauf.
Echt?
Echt!
Drittens Ausländerbehörde: Gibt es mit Ihnen eine humane Abschiebepolitik?
Ich will gewiss nicht Abschiebeweltmeister werden, wie einer meiner Vorgänger. Der Grundsatz aber ist, dass Recht und Gesetz vollzogen werden müssen. Wo es Ermessenspielräume gibt, wird in jedem Einzelfall geprüft, wie eine vernünftige Lösung gefunden werden kann.
Zurzeit gibt es eine Debatte über die Abschiebung von Roma nach Serbien und in den Kosovo. Werden Sie das aussetzen?
Es wird in jedem Einzelfall geprüft. Weder wird es eine generelle Abschiebung geben noch die Ansage, dass alle hier bleiben dürfen. Letztlich müssen wir uns im Rahmen von Bundesrecht bewegen, deshalb sind unsere Spielräume begrenzt. Was wir tun können, wollen wir aber gerne tun.
Und viertens Rote Flora: Droht ein alter, neuer Brandherd in der Stadt?
Ich denke nicht. Ob der Eigentümer Herr Kretschmer sie verkaufen will oder nicht, weiß ich nicht. Das ist auch seine Entscheidung. Ich sehe keinen Anlass für einen neuerlichen Konflikt. Der Bürgermeister hat deutlich gemacht, dass er die jetzige Nutzung dort für richtig hält. Ich denke, das tut der Stadt gut.
Festgeschrieben in den Verträgen ist eine stadtteilkulturelle Nutzung. Wie sollte ein Investor oder Spekulant ein Interesse an einem Erwerb haben?
Das erschließt sich mir auch nicht.
Besteht die Gefahr, dass die Stadt im Auftrag von Herrn Kretschmer die Flora räumt?
Warum sollte die Stadt sich in ein privatwirtschaftliches Mietverhältnis einmischen? Wenn Hamburg Weltstadt sein will, geht das nicht nur mit dem Ohlsdorfer Friedhof. Dazu gehört dann auch ein buntes, lebendiges Schanzenviertel mit der Roten Flora.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen