■ Innenminister: Wie weiter mit den Kosovo-Flüchtlingen?: Eine Frage der Kosten und des Nutzens
Das westliche Gefühl für Moral ist sehr nuanciert – vor allem in Flüchtlingsfragen. So wußte Berlins Innensenator Eckardt Werthebach (CDU) bereits am Montag, daß auf dem Balkan Frieden einkehren wird. Kaum hatte das serbische Parlament der ersten Grundlage zu einer Grundlage zu einer Friedenslösung zugestimmt, da forderte er die „möglichst schnelle Rückführung“ der 300 in Berlin untergebrachten Kosovo-Flüchtlinge. Schleswig-Holsteins Innenminister Ekkehart Wienholtz (SPD) hielt dagegen. Er nannte Werthebachs Haltung „ignorant“ und schlug vor, erst einmal über die Heimkehr der Flüchtlinge in makedonischen und albanischen Lagern nachzudenken. Auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) glaubt, daß die 14.000 Kosovo-Flüchtlinge in Deutschland frühestens Anfang nächsten Jahres heimkehren können.
Das scheint Sinn zu machen – wären da nicht die Erfahrungen aus anderen Versuchen der Flüchtlings-rückführung. Die Kosovaren werden weder jetzt noch im nächsten Frühjahr nach Hause gehen – genausowenig wie die 90.000 BosnierInnen, die die Innenminister nach wie vor heimführen wollen. Machen wir uns nichts vor: Ähnlich wie die Asylbewerber aus anderen Teilen der Welt hatten die meisten dieser Leute schon vor ihrer Flucht wenig Perspektiven in ihrer Heimat. Mancher von ihnen mag schon vor Kriegsbeginn an Auswanderung gedacht haben. Jetzt, wo ihre Dörfer und Städte vermint und zerstört sind, gibt es wenig Gründe zurückzukehren. In Deutschland leben sich diese Menschen dagegen oft schnell ein – auch deshalb, weil sie von Landsleuten, die schon seit Jahrzehnten hier leben, an die Gesellschaft herangeführt werden. Ihre Integration wäre eigentlich kein Problem. Die Innenminister könnten die Flüchtlinge vor die Entscheidung stellen, entweder längerfristig hierzubleiben oder eben zu gehen. Die Niederlande praktizieren das seit Jahren und gewinnen so jährlich einige hundert hochmotivierte Neubürger. Daß diese Möglichkeit hierzulande nicht einmal diskutiert wird, zeigt, wie verlogen die deutsche Flüchtlingsdiskussion ist.
In einer Gesellschaft, die bis weit in die Privatsphäre hinein nach den Kriterien von Kosten und Nutzen funktioniert, wird eben auch Nächstenliebe dosiert. So viel und so lange, wie die Geber das für notwendig halten. Eine Flüchtlingspolitik, die die Verhältnisse in den Herkunftsländern ernst nimmt, ist unter solchen Bedingungen weiterhin nicht zu erwarten. Rüdiger Rossig
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