Innen-Staatssekretär über Überwachung: "Intime Geräusche werden gelöscht"
Deutschland dürfe nicht zu einer "Oase" für Straftäter werden, sagt Innen-Staatssekretär August Hanning. Im Einzelfall will er sogar Betten und Klohäuschen überwachen, um Terroranschläge zu verhindern.
taz: Ende April beginnt der Prozess gegen die sogenannte Sauerland-Gruppe. Die Anwälte dieser Islamisten beklagen, dass ihre Mandanten monatelang rund um die Uhr mit verschiedenen Methoden observiert wurden. Halten Sie so eine totale Überwachung für zulässig?
August Hanning, 63, ist Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Der Parteilose gilt als starker Mann hinter Minister Wolfgang Schäuble und liegt mit diesem sicherheitspolitisch auf einer Linie. Hanning arbeitet seit 1976 im Staatsdienst, anfangs in der Finanz- und Umweltverwaltung. Ab 1990 war er im Kanzleramt in der Geheimdienstkoordination tätig. Von 1998 bis 2005 leitete er den Bundesnachrichtendienst.
August Hanning: Na, so total war die Überwachung nicht. Die Angeklagten konnten anfangs immerhin einige Chemikalienfässer für ihre Bombenpläne kaufen, ohne dass die Sicherheitsbehörden das überhaupt mitbekamen.
Für unzulässig halten Sie eine Rund-um-die Uhr-Überwachung aber nicht?
Diese Frage ist hypothetisch. So viel Personal hat die Polizei doch überhaupt nicht, dass sie einen Verdächtigen wirklich rund um die Uhr überwachen könnte. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich der Observation zu entziehen.
Zum Beispiel?
Wenn jemand in einem großen Wohnblock mit einigen Ausgängen wohnt, dann ist eine Überwachung mit unseren begrenzten Mitteln außerordentlich schwierig. Und woher sollen wir wissen, wenn der Verdächtige gar nicht das Gebäude verlässt, sondern das Festnetztelefon in einer anderen Wohnung nutzt oder sich das Handy von einem Bekannten leiht. Von Totalüberwachung kann da keine Rede sein.
Soll es zum Schutz der Privatsphäre Bereiche geben, in die der Staat verlässlich nicht hineinschauen darf?
Natürlich nicht. Wenn man ein Vakuum lässt, ist klar, dass dies zur Verabredung von Verbrechen genutzt wird. Kein Rechtsstaat der Welt wird sich Bereiche leisten, die jeglicher staatlicher Überwachung entzogen sind.
Es soll also keine überwachungsfreien Räume geben?
Der Begriff Überwachung ist in diesem Zusammenhang missverständlich. Es geht darum, dass unsere Gesetze in jedem Winkel Deutschlands gelten müssen. Es darf keine Bereiche geben, in denen der Staat nicht auf potenziell Tatverdächtige zugreifen kann. Das haben die Sicherheitsbehörden auch erst lernen müssen.
Wann und wie?
Früher glaubte man zum Beispiel, dass die Polizei um Universitäten und Gotteshäuser einen großen Bogen schlagen sollte. Und dann wurden die Anschläge vom 11. 9. 2001 unter anderem in der Hamburger Universität und in Hamburger Moschee-Veranstaltungen vorbereitet.
Nehmen wir an, zwei Terrorverdächtige treffen sich immer wieder auf öffentlichen Herrentoiletten. Würden Sie sogar die Klohäuschen überwachen?
Wenn es Anhaltspunkte gibt, dass die Observierten gezielt Toiletten aufsuchen, um Anschläge zu besprechen, dann müssten wir eben auch dort abhören.
Und wenn die Gefährder sich nur Zettel zuschieben, würden Sie auch eine Kamera installieren?
Um das Leben potenzieller Anschlagsopfer zu schützen, könnte selbst das sinnvoll sein.
Die Kamera würde auch völlig Unbeteiligte beim Pinkeln filmen …
Solche Bilder kämen ja nie in die Akten, die interessieren die Polizei überhaupt nicht.
Gibt es für Sie wirklich keine Grenzen?
Wenn ich Grenzen hätte, würde ich sie nicht in der Zeitung nennen. Ich gebe doch keine Gebrauchsanleitung für konspiratives Verhalten. Ansonsten gilt selbstverständlich immer das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Aber wenn es um die Vermeidung von Terroranschlägen geht, kann es keine absolut sicheren Rückzugsräume geben.
Was halten Sie vom Kernbereich der privaten Lebensführung, den das Bundesverfassungsgericht für absolut geschützt erklärt hat?
Den achten die Sicherheitsbehörden natürlich. In der Praxis gibt es damit auch kaum Probleme. Für die Privatgespräche und die Sexualität der Verdächtigen interessiert sich die Polizei ja auch gar nicht. Und Gespräche über kriminelle Pläne gehören laut Bundesverfassungsgericht nie zum Kernbereich des Privatlebens.
Egal wo sie geführt werden?
Ja. Wir gehen zwar erst mal davon aus, dass über Kriminalität eher im Wohnzimmer gesprochen wird. Aber wenn wir Anzeichen haben, dass ein Paar sich dazu immer ins Schlafzimmer zurückzieht, weil es sich dort sicherer fühlt, dann können wir natürlich auch dort überwachen.
Also eine Wanze unters Bett klemmen?
Zum Beispiel.
Und wenn die Polizei Stöhngeräusche hört, schaltet sie das Tonband ab?
Sie glauben doch nicht, dass da die ganze Zeit ein Polizist sitzt und mithört, um rechtzeitig auf den Aus-Schalter zu drücken? In der Praxis läuft da meist ein Band mit, das man sich anschließend anhört. Und dann werden intime Geräusche sofort gelöscht und nur das polizeilich Relevante wird gespeichert.
Karlsruhe hat aber schon die bloße Aufnahme von intimen Geräuschen bei der Wohnraumüberwachung verboten …
Da hat sich das Gericht inzwischen aber bewegt, wie wir im Urteil zur Online-Durchsuchung gesehen haben. Dort haben die Richter zugelassen, dass zunächst die ganze Festplatte eines Terrorverdächtigen kopiert wird und bei der Sichtung dann die offensichtlich privaten Dateien gelöscht werden. Niemand kann wollen, dass Deutschland zu einer Oase wird, in der man sich der Strafverfolgung verlässlich entziehen kann.
Was ist für Sie ein Überwachungsstaat?
Ich habe bis 1990 als Diplomat vier Jahre lang in der DDR gelebt. Dort wurde ich ohne jeden Anlass rund um die Uhr abgehört, gefilmt und observiert. Wenn Sie das erlebt haben, wissen Sie, was ein Überwachungsstaat ist.
Ohne jeden Anlass wollen Sie aber bald in der geplanten Visa-Warndatei alle Menschen erfassen, die visumspflichtige Ausländer eingeladen haben - nur um Fälle herauszufiltern, bei denen möglicherweise ein Verdacht entstehen kann …
Ohne konkreten Anlass? Vergessen Sie bitte nicht den Visa-Untersuchungsausschuss und dessen Kritik am Auswärtigen Amt. Wir haben mit unserem Gesetzentwurf nur den Koalitionsvertrag umgesetzt. Dass nun das Bundesjustizministerium blockiert, geht deshalb vor allem zu Lasten des Auswärtigen Amtes.
Okay, der Gesetzentwurf mag einen Anlass gehabt haben, aber wenn alle einladenden Personen gespeichert werden, ist das ja anlasslos.
In der Vieleinlader-Datei versuchen wir Fälle zu erkennen, die Probleme machen könnten. Als Vieleinlader gelten nur Personen oder Organisationen, die binnen zwei Jahren mehr als fünf Mal visumpflichtige Ausländer eingeladen haben. Das hat mit Verdacht noch gar nichts zu tun. Es geht hier um Aufgreifschwellen, ab denen man Fälle überhaupt erst näher anschaut. So etwas ist in der Verwaltung von Massenvorgängen, etwa im Steuerrecht, durchaus üblich.
Und in Zukunft werden die Einladungen von Pfarrern, Unternehmen und anderen Vieleinladern besonders streng auf Missbräuche geprüft?
Bei Unternehmen, Kirchengemeinden und Sportvereinen ist doch klar, dass es nicht um die Einschleusung von Ausländern geht. Da wird nicht weiter geprüft. Vielmehr würde die neue Datei in solchen Fällen die Visaerteilung sogar beschleunigen. Aber wenn Christian Rath Dutzende von Frauen aus allen Teilen der Welt einlädt, würden wir schon genauer nachfragen.
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