Inkassobüro in Hannover: Wenn Schwarzfahren teuer wird
In Hannover haben die Verkehrsbetriebe ausstehende Bußgelder an ein Inkasso-Büro abgetreten. Das langt offenbar kräftig zu.
HANNOVER taz | Normalerweise kostet einmal Schwarzfahren bei in Hannover wie in anderen Städten auch: 40 Euro verlangen die dortigen Verkehrsbetriebe, die Üstra, von Ticketlosen. Bekommt sie das Geld nicht innerhalb von zwei Wochen, erhöht sich die Summe auf 47 Euro. Ist das Geld dann immer noch nicht da, kommen drei Mahnungen – und dann kann es teuer werden. Denn dann tritt die Üstra ihre Forderungen an ein Inkassounternehmen ab.
Die Hannoversche Allgemeine berichtete jetzt über eine Familie, die mehr als 600 Euro für dreimal Schwarzfahren zahlen soll – dabei liegen alle Vorfälle sieben Jahre zurück. Die Zahlungsaufforderungen kommen vom Rechtsanwaltsbüro Mumme & Partner in Hannover, das bis 2011 als Inkassobüro für die Üstra tätig war. Das bestätigte deren Sprecher Udo Iwannek gegenüber der taz.
Laut Hannoverscher Allgemeiner begründet das Inkassobüro die hohen Forderungen mit „Zinsen“ und „Kosten für Aufwand“. Das Anwaltsbüro wollte sich dazu nicht äußern.
Obwohl das besagte Inkassobüro längst nicht mehr für die Üstra zuständig sei, könne es immer noch Altforderungen bearbeiten, sagt Üstra-Sprecher Iwannek. Dagegen könne die Üstra prinzipiell nichts unternehmen. „Wir haben die Forderungen an Mumme & Partner verkauft. Sie machen das jetzt auf eigener Rechnung“, sagt er.
Wie viel die Üstra von Mumme & Partner bekommen hat, dürfe er ohne Zustimmung des Inkasso-Büros nicht sagen, sagt Iwannek. Inzwischen jedenfalls bekomme die Stadt keinen Cent mehr, sollte das Inkassobüro die Forderungen eintreiben.
Sind 2007 noch circa 90.000 Schwarzfahrer erwischt worden, so waren es 2012 nur noch 55.200 Personen.
Udo Iwannek führt die sinkende Zahl der Schwarzfahrer in Hannover auf den intensiveren Einsatz von Kontrollpersonal zurück.
André Neiß, Vorstandsvorsitzender der Üstra, sagt dazu: „Wir wollen nicht möglichst viele Schwarzfahrer erwischen, sondern die Zahlungsmoral der Menschen stärken, die den Nahverkehr nutzen.“
Mehr als 1.000 Altforderungen
Der Üstra-Sprecher schätzt, dass die Kanzlei mehr als 1.000 Altforderungen in der Schublade liegen hat. Genauere Zahlen könne er nicht nennen, da die Unterlagen beim Verkehrsbetrieb aus Datenschutzgründen vernichtet worden seien. „Wir raten allen Betroffenen zu prüfen, ob die Forderungen in dieser Höhe rechtens sind“, sagt Iwannek. „Außerdem verweise ich auf die Verjährungsfrist.“
Warum die Üstra den Vertrag mit Mumme & Partner vor zwei Jahren auslaufen ließ, möchte Iwannek nicht sagen. „Wie sie in diesen Fall sehen, gab es gute Gründe“, sagt er nur.
Dass die Üstra als öffentlicher Verkehrsbetrieb Forderungen an ein Inkasso-Büro abtrete, sei jedoch normal. „Jeder Verkehrsbetrieb macht das.“ Die Alternative, eine eigene Inkassoabteilung mit entsprechendem Personal, lohne nicht.
Der niedersächsischen Verbraucherzentrale ist bisher kein Fall von Inkasso-Eintreibung wegen Schwarzfahrens bekannt. „Mich wundert das sehr“, sagt Kathrin Körber von der zuständigen Verbraucherzentrale Göttingen. Mit überhöhten Forderungen aus der Verkehrsbranche hätten sie bisher keine Erfahrungen: „Das kennt man meist nur von den üblichen Tricks der unseriösen Internetabzocke.“
Unseriöse Geldbeschaffungsmethoden
Körber rät den Betroffenen, Widerspruch wegen Verjährung einzulegen, wenn der Vorfall mehr als drei Jahre zurückliegt. Des Weiteren solle man prüfen, wie sich die geforderte Summe zusammensetzt: „600 Euro kommt ja nicht von nichts, wenn man sie im Verhältnis zu den 40 Euro als Ursprungsforderung ansieht.“ Außerdem könne man prüfen lassen, ob Mumme & Partner überhaupt empfangsbevollmächtigt seien.
„Wir befinden uns gerade in schwebenden Verhandlungen mit Mumme & Partner“, sagt Iwannek. Die Üstra wolle nun eine „Lösung im Sinne der Kunden“ finden. Ob der Sprecher damit andeuten möchte, dass das Unternehmen versucht, die Altforderungen zurückzubekommen?
Sucht man im Internet nach „Mumme & Partner“, findet man Beiträge in Foren, die über angeblich unseriöse Geldbeschaffungsmethoden berichten. Auch die Hamburger Hochbahn hatte einen Vertrag mit dem Inkassobüro aus Hannover – bis er Ende 2012 gekündigt wurde. Den Zuschlag erhielt danach ein anderes Inkassounternehmen.
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