piwik no script img

Inflation in der TürkeiWährungspolitik droht zu scheitern

Präsident Erdoğan wollte die Inflation in der Türkei durch kursgeschützte Lira-Konten eindämmen. Doch die Strategie ist nicht aufgegangen.

Alles viel teurer in Istanbul: Dennoch senkte die Zentralbank die Zinsen Foto: Francisco Seco/ap

Istanbul taz | Die vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mit großem Tamtam angekündigte neue ökonomische Politik ist gescheitert. Weder konnte der Lira-Kurs stabilisiert werden, noch gelang es, die Preisexplosion einzudämmen.

Am 20. Dezember hatte Erdoğan ein Programm verkündet, mit dem er die Lira wieder stabilisieren und die Verbraucherpreise unter Kontrolle bekommen wollte. Er kündigte an, dass bei den staatlichen Banken sogenannte kursgeschützte Lira-Konten eingerichtet werden. Für Verluste durch die Abwertung der Landeswährung gegenüber dem US-Dollar während der Laufzeit sollen die Sparer eine Entschädigung bekommen.

Mit diesem Angebot wollte Erdoğan die türkischen Bürger dazu bringen, ihre Dollarguthaben wieder in Lira einzutauschen und so zur Stabilisierung der heimischen Währung beizutragen. Dasselbe sollte für Sparer gelten, die Gold in Lira umtauschen. Gleichzeitig kaufte die Zentralbank noch einmal für 20 Milliarden Dollar Türkische Lira.

Beide Maßnahmen zusammen schienen auf den ersten Blick erfolgreich. Der Dollarkurs sank über Nacht von 18 auf 11 Lira und für einen Euro musste man nur noch 12 statt wie am Tag zuvor 20 Lira zahlen. Wenige Tagen später verkündete Finanzminister Nureddin Nebati stolz, auf die „kursgeschützten Lira-Konten“ seien bereits rund 90 Milliarden Lira, rund 5,8 Milliarden Euro, eingezahlt worden.

Erdoğan tobte wohl ob der Zahlen

Aus Bankenkreisen erfuhr die auf Wirtschaftsnachrichten spezialisierte Agentur Reuters allerdings, dass diese Milliarden nur zu 1 bis 2 Prozent aus umgetauschten Devisen stammten. Die anderen 98 Prozent kamen einfach von anderen Lira-Konten, die auf die neuen „kursgeschützten Konten“ umgeschichtet wurden. Denn einen Nachweis, dass Geld, welches auf diese neue Lira-Konten eingezahlt wird, tatsächlich aus umgetauschten Devisen stammen, muss man nicht erbringen.

Wenn diese Zahlen stimmen, hat Erdoğan sein Ziel haushoch verfehlt. Ein nicht genannter hoher Funktionär seiner Partei AKP gab im Gespräch mit dem deutschen Handelsblatt zu, dass die Erwartungen der Regierung „bislang nicht vollständig erfüllt wurden“.

Wie wichtig es für die Regierung wäre, dass die Leute ihre Devisen wieder in den Wirtschaftskreislauf einspeisen, machen die Zahlen der türkischen Bankenaufsicht deutlich. Danach sind von den insgesamt umgerechnet 349 Milliarden Euro, die von allen türkischen Banken gehalten werden, zwei Drittel in Devisen.

Nach Berichten oppositionsnaher Zeitungen soll Erdoğan getobt haben, als er vom Finanzminister die Zahlen vorgelegt bekam. „Jetzt hilft nur noch beten“, wird der stellvertretende Finanzminister Murat Zaman in der Zeitung Birgün zitiert. Denn mittlerweile ist die Wirkung der Zentralbankintervention vom 20. Dezember schon fast wieder verpufft. Für einen Euro müssen statt 12 Lira bereits wieder knapp 16 Lira bezahlt werden, ähnlich sieht es beim Dollar aus. Statt 11 Lira sind bereits wieder knapp 14 Lira fällig.

Und die Inflation steigt weiter. Anfang Januar hatte die staatliche Statistikbehörde zugegeben, dass die Preise 2021 nicht wie von ihr lange behauptet um 20 Prozent, sondern um 36 Prozent gestiegen sind. ENAK, eine unabhängige Inflationsforschungsgruppe, veröffentlichte Anfang der Woche ihre Erkenntnisse. Danach betrug die Inflation 2021 sogar gut 82 Prozent. Zusammen mit den Steuererhöhungen, die Anfang Januar in Kraft traten, sind manche Preise, beispielsweise für alkoholische Getränke, geradezu explodiert. Keine guten Aussichten für Präsident Erdoğan und seinen Finanzminister Nureddin Nebati.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!