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■ Individueller Service in der Prager PostÜber die Faxen beim Faxen

Prag (taz) – Der Prager Erzähler und Romancier Paul Leppin hat für seine Heimatstadt immer mit wohlfeilen Formulierungen geworben. An der Moldau, da wohnen die verschrobenen Individualisten, hat er gesagt, und nirgends sei man den „Geistern, die aus einer abgefeimten, schlüpfrigen Tiefe aussteigen“, so nahe wie in den Kneipen und Nachtlokalen. Schön, nur fragt man sich, warum Leppin nie über die Post als Auffangbecken für die dubiosesten Gestalten der Stadt geschrieben hat. Wollte er womöglich nicht das Nest beschmutzen, in dem er vor der Schreiberkarriere als Beamter tätig war? Oder lag es daran, daß zu seiner Zeit noch nicht gefaxt wurde?

Die Tschechinnen hinter dem Panzerglas im Prager Fax-Schalter schlurfen in Pantoffeln oder Badelatschen herum. Ungeachtet einer riesigen Warteschlange tratschen sie, was das Zeug hält. In diesem hektischen Wortgewurbel können Besucher die Herzen der Holden nur mit eisernem Willen erreichen: mit viel Charme oder barschen Sprüchen.

Unlängst wollten wir zwölf Seiten in die Ferne faxen – sechs Adressaten à zwei Kopien. Die Ranghöchste der Mädels hatte gerade den Formularkram erledigt und für die Kommunikationsdienste im voraus die Hand aufgehalten, da bot sich eine zunehmend dramatische Szene. Ihre Kollegin krallte sich die Seiten und stopfte sie mit Willkür in die Faxmaschinen. Auf der Nase trug die Dame ein jogurťáky (das sind winzige Joghurtgläser aus kommunistischen Zeiten, die im tschechischen Volksmund als Ausdruck für lupendicke Brillengläser herhalten müssen). Beim Eintippen der jeweiligen Nummern klebte die Bebrillte mit ihrem Kopf auf der Tastatur. Etwa drei Stühle weiter saß eine andere Frau, die mit flinken Fingern eine rosafarbene Wollmucke strickte. Und wir befürchteten: Wenn die nicht den Faden verliert, ist der Pulli fertig, bevor die Informationen ihre Empfänger erreichen.

Als wir durch das Panzerglas wie in ein Aquarium starrten, immer weniger unseren eigenen Augen trauten, fischte die Unvermögende derart wild an den Faxen herum, daß die Seiten kreuz und quer durch den Raum wirbelten. Kurz danach schob uns die Ranghöchste wimpernklimpernd einen Papierwust zu. Lächelnd frage sie: „Alles in Ordnung?“ Nichts stimmte. Ein Empfänger erhielt drei Seiten, ein anderer nur eine, ein dritter zwei Deckblätter, und zu guter Letzt ging ein Fax an eine Nummer, die nirgendwo vermerkt war.

Nach einer leidigen Diskussion gingen die Faxe erneut raus. Eine aus einem Hinterzimmer herangeeilte Frau, eine Gouvernante mit hochtoupierten Haaren und ernstem Blick, tippte höchstpersönlich. Das könne schon mal passieren, meinte die Ranghöchste mit verschmitztem Lächeln. Als wir die Post verließen, blieb eine riesige Traube mosernder Kunden zurück. Auf der anderen Seite der Scheibe standen die Geister der Post, schüttelten die Köpfe und nörgelten zurück. Und die stumme Strickerin war am Ärmelbündchen angelangt. Das zu sehen war schön, ja. Tomas Niederberghaus

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