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Indiens Janata-Dal-Partei entzwei

Indische Regierungspartei bricht über Tempelstreit auseinander/ Chancen für Fortbestand der Regierung Singh schwinden/ Generalstreik lähmt öffentliches Leben in Neu Delhi  ■ Von C. Meyer aus Neu Delhi

Der Machtpoker in New Delhi fand am Montag einen neuen Höhepunkt: Premierminister V.P. Singh hat kaum noch politische Überlebenschancen. Der ohnehin schon angeschlagene Regierungschef steht vor dem endgültigen Aus, nach dem rund 68 Abgeordnete seiner eigenen Janata-Dal-Partei eine Palastrevolution anzettelten. Sie sagten sich geschlossen von dem Premierminister los und wählten einen eigenen Chef: Chandra Sekhar, langjähriger Parteifunktionär mit sozialistischem Hintergrund. Das bedeutete den Bruch der Regierungspartei Janata Dal.

Noch am Montag wandte sich die Gruppe der Abtrünnigen Janata-Dal- Abgeordneten in einem Brief an den indischen Präsidenten mit der Bitte, ihren Favoriten, Chandra Shekhar, mit der Bildung einer neuen indischen Regierung zu beauftragen. Damit hat Premierminister V.P. Singh bei der bevorstehenden Abstimmung im Unterhaus, die am 7. November über die Mehrheitsverhältnisse im Parlament Klarheit schaffen soll, mit einem Rivalen aus den eigenen Reihen zu rechnen. Fraglich allein, ob sich V.P. Singh überhaupt noch dieser Machtprobe am Mittwoch stellen wird.

Ausgelöst wurden die offenen Rivalitätskämpfe in der Janata-Dal- Partei schon am 23.Oktober, als die fundamentalistische Hindupartei BIP der Regierung V.P. Singh die Unterstützung entzog. Damit verlor die Minderheitsregierung Singh nicht nur die absolut nötige parlamentarische Stützung, es setzte sich auch gleichzeitig ein Personalkarussel in Bewegung.

Politische Gegner aus der eigenen Janata-Dal-Partei brachten sich eilends als Anwärter auf das Amt des Regierungschefs ins Gespräch. Das parteiinterne Ränkespiel wude am Montag nun zugunsten Chandra Shekhars entschieden.

Auch wenn Premierminister V.P. Singh noch immer die größere Anzahl der insgesamt 140 Janata-Dal- Unterhausabgeordneten hinter sich hat, reicht das bei weitem nicht aus, die Vertrauensfrage am 7. November zu bestehen. Neue Mehrheiten sind für den Premierminister nicht in Sicht. Er und seine Gefolgsleute scheinen sich darauf einzurichten, demnächst wieder auf den Oppositionsbänken zu sitzen. Nicht so die Gruppe um Chandra Shekhar. Er hatte in den vergangenen Tagen schon Verbindung zur Kongreß-Opposition von Rajiv Gandhi aufgenommen, um sich hier notwendige Schützenhilfe zu sichern. Die Kongreßpartei begrüßte am Montag die Spaltung der Janata-Dal-Partei und erkannte Shekhar als „legitim“ an. Schon für Dienstag vormittag wurde ein Gespäch zwischen Gandhi und Shekhar vereinbart.

V.P. Singh, der der jahrzehntelangen Herrschaft der Kongreßpartei Gandhis ein Ende bereitete, muß nun erleben, daß parteiinterne Gegner der Kongreß-Opposition gemeinsame Sache machen, um seiner Amtszeit nach knapp einem Jahr ein Ende zu bereiten. Sollte die Rechnung Chandra Shekhars aufgehen, und er tatsächlich neuer Premierminister werden, hätte er das erreicht, wonach er schon lange strebt. Schon vor elf Monaten hatte sich der einflußreiche Janata-Dal-Politiker Hoffnungen auf das Amt des Regierungschefs gemacht, doch damals mußte er V.P. Singh den Vortritt lassen.

Während ein Generalstreik gestern das öffentliche Leben in Neu Delhi erneut lahm legte, ging die Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken gegen Anhänger der BJP vor.

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