Indien: Ehe als Langzeitprojekt

Mira Nairs Film "The Namesake" umfasst drei Jahrzehnte, zwei Generationen, eine arrangierte Ehe, zwei Kontinente und 122 Minuten.

Auf der Suche nach Identität? Bild: 20th Century Fox

In Filmen, die von Migranten handeln, nimmt die arrangierte Ehe einen festen Platz ein. Mit ihren - für westliche Augen - peinlichen Anbahnungsritualen lässt sich bestens die Entfremdung zwischen erster und zweiter Migrantengeneration inszenieren. Oft geschieht das in plattester Form: In überdekorierten Wohnzimmern lügen Eltern sich den Charakter ihrer Söhne zurecht oder preisen ihre Töchter wie Schnäppchenartikel an. Auf jeden Fall wird es leicht gemacht, darüber zu lachen.

In "The Namesake" bildet die Verhandlung über eine arrangierte Ehe den Ausgangspunkt der Erzählung, die im Kalkutta der frühen Siebziger beginnt und bis ins New York der Jahrtausendwende reicht. Der bereits in die USA ausgewanderte Ashoke kommt noch einmal zurück nach Indien, um Ashima zu heiraten und sie dann mitzunehmen in die neue Heimat. Der Blick der Braut auf die Schuhe des ihr völlig unbekannten Bräutigams verrät dem Zuschauer jedoch, dass es sich hier um mehr handelt als eine pragmatische Verabredung. Ashima willigt ein mit dem Mut einer Expeditionsteilnehmerin. Fast meint man Abenteuerlust hinter ihrer weiblichen Demut erkennen zu können. Die arrangierte Ehe, so zeigt uns Mira Nair und so beschreibt es Jhumpa Lahiri im zugrunde liegenden Roman, ist keinesfalls das merkantil-pragmatische Gegenteil einer Liebeshochzeit, nein, sie ist ein Langzeitprojekt, das gerade wegen der Klarheit der Startbedingungen oft besser funktioniert als das auf Verliebtheit gründende Modell.

Der erste Teil von "The Namesake" ist deshalb ganz vom exotischen Reiz dieser sich verhalten entwickelnden Beziehung bestimmt. Ashoke und Ashima sind nicht nur Fremde in New York, sie sind auch noch lange einander fremd. Wie viel Durchhaltevermögen und wie viel Einsamkeit das besonders für Ashima bedeutet, macht der Film mit melancholischen Aufnahmen einer spärlich eingerichteten Wohnung deutlich, in der Ashima im Sari wie ein flugbehindertes Vögelchen wirkt. Mit der Geburt der Kinder ändert sich das, und der Film verschiebt leider seinen Fokus weg von Ashoke und Ashima auf das allgemeinere Thema Integration: Einerseits wird sie einfacher durch die Kinder, andererseits bildet deren Entwicklung die Nagelprobe für das gesamte Lebensprojekt der Eltern.

Von nun an stehen die Schwierigkeiten des Aufwachsens und Erwachsenwerdens von Gogol im Mittelpunkt, Ashokes und Ashimas Sohn. Der Film allerdings gleitet ins Stereotyp ab: Im Teenager-Alter lehnt Gogol das "Indische" seiner Eltern als rückständig ab; die erste Freundin, die er nach Hause bringt, ist so blond und aufgeschlossen, dass der Zuschauer sofort versteht, dass das nicht gut gehen kann.

Interessant wird "The Namesake" erst wieder, als es erneut um Liebe und arrangierte Ehen geht: Gogol trifft die Frau, von der seine Eltern gewollt hätten, dass er sie heiratet. Die Tochter von ebenfalls ausgewanderten Bengalis hat sich wie er selbst durch und durch "amerikanisiert". Doch es reicht ein bisschen geteiltes Leid, und zusammen steigern sich die beiden in eine Art Identitätsrausch hinein. Das Vorhaben der Eltern bekommt für sie die Anziehungskraft einer sich erfüllenden Bestimmung. Den entscheidenden Schritt zur Selbstfindung vollziehen beide in dem schmerzlichen Moment, als sie erkennen, dass der Weg zurück in die Traditionen auch Selbstverleugnung wäre.

Die schwierige Aufgabe, dreißig Romanjahre in zwei Stunden Film zu übersetzen, bewältigt Nair nicht wirklich befriedigend. Nur für Momente findet der Film seinen Rhythmus; er beginnt wie ein Epos und endet wie eine Kurzgeschichte. Worin sich auf seine Weise der Übergang von Tradition zu Moderne zeigt.

"The Namesake - Zwei Welten, eine Reise", Regie: Mira Nair. Mit Kal Penn, Zuleikha Robinson, USA 2006, 122 Min.

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