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Indien wähltKorruption im Wahlkampf

Parteien sind in Indien indirekt käuflich. Die Wähler sollten die hehren Versprechungen hinterfragen – es geht ihnen um Daseinsvorsorge.

Wahlkampf in Indien: Premierminister Narendra Modi (BJP) während einer öffentlichen Versammlung in Pushkar Foto: Shaukat Ahmed/imago

W ir leben in einem politisch entscheidenden Jahr, auch in Indien: Dort entscheiden derzeit eine Milliarde Wahlberechtigte, wer künftig ihre Geschicke bestimmen wird. Bekommen sie eine Regierung, die sich auch um landlose Bauern kümmert, die in den abgelegensten Teilen Indiens in winzigen Hütten leben? Oder eine Regierung, die zwar in ihren Wahlslogans Gleichheit verspricht, aber in Wirklichkeit vor allem den Millionären ermöglicht, noch reicher zu werden, indem sie weiter Wälder und Flüsse zerstören?

In den vergangenen Monaten sind die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen der Regierungspartei BJP und den großen Unternehmen überdeutlich sichtbar geworden. Es wurde bekannt, dass seit 2017 große Spenden verschleiert und anonym an die BJP geflossen sind. Die Transparenz, die eigentlich seit einem Urteil des Obersten Gerichts vom Februar für solche politischen Zuwendungen vorgesehen ist, gibt es nicht. 99 Prozent dieser Spenden flossen an die BJP. Sie kamen etwa von dem großen Bergbaukonzern Adani, der neuerdings auch im Mediensektor aktiv ist. Mit Schürfprojekten soll er auch das Great Barrier Reef in Australien gefährden.

Politische Parteien können ihre Wahlkämpfe nur durch Spenden finanzieren. Wer eine große Summe spendet, erwartet dafür Wohlwollen vonseiten der Regierung. Die Daten über solche Zuwendungen waren früher öffentlich, doch das Transparenzgebot wurde seit 2017 von der BJP durch eine neue Finanzierungsmethode, die über Anleihen funk­tio­niert, unterlaufen. Dabei war Ministerpräsident Narendra Modi einst mit dem großen Versprechen angetreten, die Korruption zu beseitigen. Millionen Inder haben nicht vergessen, dass er im Namen dieses Kampfes 2016 über Nacht verkündete, dass große Banknoten ihre Gültigkeit verlieren. Wer, wie viele ärmere Inder, solche Banknoten als Notreserve hortete, aber kein Bankkonto hatte, verlor damals seine Ersparnisse.

Das korrupte System der anonymen Partei­spenden über Anleihen wurde von den Oppositionsparteien geduldet, denn sie hofften, auch davon zu profitieren. Doch der allergrößte Teil floss an die BJP. Nun drängen Bürgerinitiativen darauf, dass das Urteil des Obersten Gerichts umgesetzt wird. Eigentlich sollten die Namen der Spender und der Empfänger nun offengelegt werden können. Das sorgt für aufgeregte Medienberichte im Vorfeld der Parlamentswahlen, die in sieben Etappen vom 19. April bis zum 1. Juni stattfinden.

Man kann Korruption auf vielerlei Weise zu bekämpfen versuchen, man kann die Kontrollen aber auf ebenso vielen Wegen umgehen. Als ich ab 2012 in den USA lebte, versuchten dort große Konzerne ganz offen, über Wahlkampfspenden an die eine oder andere Partei das Ergebnis zu beeinflussen. Mir erschien das undemokratisch, denn in Indien waren wir misstrauisch, wenn Kandidaten große Summen für den Wahlkampf ausgeben konnten.

Aber vielleicht lag ich die ganze Zeit falsch, wenn ich das so betrachtete. Sollten die Leute nicht viel mehr auf die gewaltige Kluft achten, die sich zwischen den hehren Versprechen vor der Wahl und den blamablen Ausreden hinterher auftut, warum all die schönen Pläne nicht verwirklicht worden sind? In den Medien reitet man nun darauf herum, welche Firma gespendet und dafür welches Projekt genehmigt bekommen hat. Aber für die große Mehrheit geht es um die alltägliche Daseinsvorsorge „­sadak – bijli – paani“ (auf Deutsch: Straßen, Elek­tri­zi­tät, Wasser). Und da haben sie zwar nicht die Finanzmittel, um einen Regierungswechsel herbeizuführen, aber ein noch wichtigeres Werkzeug: ihre Stimme an der Urne.

Aus dem Englischen von Stefan Schaaf

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