piwik no script img

Indien vor der ersten Koalitionsregierung?

■ Rajiv Gandhis Partei hat bei Parlamentswahlen mehr als die Hälfte ihrer Sitze verloren / Parlament überraschend aufgelöst / Besonders Rechte und Kommunisten verbuchten große Stimmengewinne / Ghandis Gewinn im eigenen Wahlkreis wegen Wahlfälschungen noch unklar

Neu Delhi (dpa/afp/taz) - Die Niederlage der regierenden Kongreßpartei bei den indischen Parlamentswahlen fällt weit deutlicher aus, als gestern nach den ersten Trendmeldungen zu erwarten war. Nach den bei Redaktionsschluß vorliegenden Auszählergebnissen wird die Partei weniger als 200 Abgeordnete in das indische Unterhaus entsenden können. Dies bedeutet den Verlust von mehr als der Hälfte der Sitze. Nach der überraschenden Auflösung des Parlaments am Montag abend wurde der Rücktritt der gesamten Regierung des Premierministers Rajiv Gandhi bis Mittwoch erwartet. Ihr Mandat wäre erst am 14. Februar ausgelaufen.

Im Kongreß mehren sich nach Angaben der renommierten 'Times of India‘ Stimmen, die sich gegen jeden Versuch der Partei aussprechen, an einer Koalitionsregierung beteiligt zu sein. Trotz der Wahlniederlage sei die Stellung Gandhis als Parteichef unangefochten, hieß es. Als immer noch stärkste Partei in Indien wolle die Ghandi-Partei abwarten, bis die Opposition an ihrem Vorhaben scheitere, eine Koalitionsregierung zustandezubringen. Die Verbündeten der Kongreß-Partei gewannen gerade 14 Sitze, so daß die Partei nicht auf die für die absolute Mehrheit erforderlichen 265 Sitze kommen dürfe.

Die zentristische Partei Janata Dal, die stärkste Kraft in der Fünf-Parteien-Allianz „Nationale Front“, wurde mit vorläufig 78 Sitzen zweitstärkste Partei nach dem Kongreß. Die Ergebnisse ihrer Bündnispartner waren jedoch so verheerend, so daß die Janata Dal für eine Regierungsbildung sowohl auf die Unterstützung der rechtsgerichteten Indischen Volkspartei (Bharatiya-Janata-Partei/BJP) als auch der Kommunisten angewiesen wäre. Beide verzeichneten bei den Wahlen aufsehenerregende Stimmengewinne. Bei Feiern der im westindischen Bundesstaat Radschastan erfolgreichen BJP kam ein Mensch ums Leben und wurden 40 verletzt.

Trotz kleinerer Meinungsverschiedenheiten zwischen den Fraktionen der Opposition schienen deren Führer am Montag entschlossen, die erste Koalitionsregierung in der Geschichte des Landes zu bilden. Angesichts der sich abzeichnenden unklaren Machtverhältnisse im Parlament sagen politische Beobachter Indien eine Periode politischer Instabilität voraus. Wenn sich die derzeitigen Trends bestätigen, wäre es das erste Mal in der 42jährigen Geschichte des Landes, daß keine Partei über die Mehrheit im Parlament verfügt. Die Kongreßpartei könnte zum zweiten Mal in ihrer 104jährigen Geschichte auf die Oppositionsbank verwiesen werden.

Unklar ist bislang, ob Gandhi seinen eigenen Wahlkreis gewonnen hat. Die Auszählung der Stimmen war am Montag erneut unterbrochen worden, weil ganze Bündel gefälschter Wahlscheine auftauchten. Oppositionsanhänger behinderten durch Sitzproteste die Auszählung der Stimmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen