Indien, der schlafende Fußball-Riese: Der Wecker ist gestellt
Fußball ist Volksport Nummer eins in Indien. Doch die Nationalmannschaft konnte sich erst einmal für eine WM qualifizieren. Das war vor über 50 Jahren.
In 16 Jahren, aber wem sage ich das, findet wieder eine Fußball-WM statt. Und zwar, wenn alles gut geht, 2026 in Indien. Das fordert zumindest Suresh Kalmadi, der erst jüngst erfolgreich die Commonwealth-Spiele organisiert hatte. Als Kalmadi seinen Plan vorstellte, die aktuelle Nummer 134 der Fifa-Rangliste - zwischen Swasiland und Nicaragua -, die doch beim Versuch, sich für Südafrika zu qualifizieren, gegen die Großmacht Libanon gescheitert war, zur WM-Gastgebernation zu machen, lachten indische Journalisten herzlich. Und Zeitungen außerhalb Indiens war es gleich gar keine Meldung wert.
Dabei sagt der in Deutschland lebende indische Sportjournalist Chris Punnakkattu Daniel: "Fußball ist trotz Kricket und Hockey der Volkssport Nummer eins. Es ist der Sport der Unter- und Mittelschicht Indiens, also der großen Masse." In Kalkutta steht mit dem Yuba Bharati Krirangan das zweitgrößte Stadion der Welt; nicht selten sind, wenn dort I-League-Spiele der indischen Profiteams ausgetragen werden, alle 120.000 Plätze besetzt. Und anders als europäische Beobachter es vielleicht vermuten würden, verdienen die besten indischen Fußballprofis mehr als ihre Kollegen aus dem Kricket.
Dabei hatte sich Indiens Fußballnationalmannschaft erst einmal für eine WM-Teilnahme qualifiziert. Das war 1950, doch kurz zuvor hatte der Weltverband Fifa beschlossen, alle Mannschaften müssten Fußballschuhe tragen. In Indien wurde aber noch barfuß gespielt, und Indiens Verband sagte ab.
So viel Anschluss an Weltfußball und Weltmarkt - beides nicht ganz unwesentlich von einer fränkischen Firma mit drei Streifen geprägt - wollte man in Indien damals nicht. Und wurde prompt abgehängt. "So wurde das Kontemplative bis heute die vorherrschende Macht auf indischem Boden", notierte traditionell ahnungslos der deutsche Sportfunktionär Carl Diem, der als Organisator der Naziolympiade 1936 auch nach 1945 immer noch Einfluss hatte und immerhin das wusste: wie man sich nicht abhängen lässt.
Erst in den Achtzigerjahren, als sich beide, Weltmarkt und Weltfußball, umsortierten, als China wieder überall teilnahm, wo man es ließ, als die Sowjetunion erste Zuckungen zeigte, die sie bald verschwinden lassen würden, als afrikanische Spieler in europäischen Ligen zu Stars aufstiegen und als die Fifa sich so, wie man heute sagt: aufstellte, dass sie überall dort etwas abgreifen kann, wo noch ein Markt lauert - erst da wollte Indien auch wieder international mitkicken.
Nicht erfolgreich - remember Swasiland und Nicaragua -, aber engagiert. Aus dem Sportunterricht in der Schule weiß man, dass das gute Noten bringen kann. "Indien ist ein schlafender Riese", sagt Sepp Blatter, und der Job des Fifa-Präsidenten ist es ja, Riesen mit von ihm gelieferten Weckern wachzurütteln. In diesem Jahr klingelt es bei der WM in Südafrika, um die Ware Fußball zu einem teuren Handelsgut auf dem afrikanischen Kontinent zu machen. Vor acht Jahren war die Fifa mit der WM in Südkorea und Japan in Asien schon sehr erfolgreich. Und dem Projekt, den Fußball zum Weltmarktführer in der Sportbranche zu machen, war 1994 die Weltmeisterschaft in den USA durchaus zuträglich.
Früher waren Fußballweltstars wie Pele oder Beckenbauer die Helden gerade mal zweier Kontinente: Südamerika und Europa. Heute aber sind Fußballgrößen wirkliche Weltstars: Die Gesichter von David Beckham oder Cristiano Ronaldo begegnen einem in japanischen Autobahnraststätten, in afrikanischen Spelunken und im Fernsehen sowieso und überall. Bei der Erschließung des Fußballweltmarkts fehlen nur noch China und Indien. Aber wir arbeiten dran. Und wenn auch diese zwei riesigen Märkte endgültig erschlossen sind, hat die Fifa vielleicht Glück, und es tun sich auf dem Mond oder dem Mars erste Chancen für eine weitere Expansion des Fußballsports auf.
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