: Incubus
■ 300 Tage Sonne im Jahr
In Tampa, Florida, scheint über 300 Tage im Jahr die Sonne. Die übrigen hat der Rest der Welt gemietet. Highways erstrecken sich entlang der Nord-Süd-Achse. Krokodile, Kapuzenmännchen und anderes Gewürm überquert sie, meist des Nachts. Tagsüber versuchen es nur die wirklich Dreisten unter ihnen. Denn Hab-Acht-Schilder stehen am Straßenrand. Rasende Skateboards!
An einer Ecke, die Taco-Bude gegenüber, steht ein Flachbau, der des öfteren von gewaltigen Drumgewittern und aberwitzigem Gitarrengejaule aus dessen Inneren erzittert. Auch hier halten sich kluge Krokodile fern. Nicht aber die Kapuzenwichte. Hordenweise, meist zu viert, schleichen sie vor und nach dem Erzittern des Flachbaus rüber zur Taco-Bude und zurück. Morbid Angel, Sepultura oder Terrorizer nennen sich diese unglücklichen Horden, aber so unglücklich, sieht man genauer hin, scheinen sie nicht zu sein. Der Flachbau ist ein Studio namens Morrissound, und in diesem Studio konservieren zwei Verschworene namens Scott Burns und Tom Morris dessen Beben und Zittern. Heraus kommen dann die vielen schwarzen oder wahlweise kleinen silberfarbenen Scheiben, die zuhause eure Bude wieder- und weitererzittern lassen. Freilich nur, wenn ihr heimlich auch des Nachts euch eine Kapuze über die Mähne zieht, wenn ihr mit Wasserabdruckpapier euch Totenköpfe und andere seltsam riechende Kreaturen auf die Unterarme tätowiert.
Die beiden Brüder Moyses M. Howard (Drums) und Francis M. Howard (Gitarre) stammen aus Brasilien. Ende '85 zogen sie um nach Tampa, Florida, wo die Sonne... aber das hatten wir schon. Sie fanden einen Bassisten, gründeten eine Band namens Incubus. Ein Demo entstand, das dem US-Label »Brutal-Records« wegen dessen ultrabrutalen, hyperschnellen Trash gefiel, und so erschien '88 Incubus Debut-Album »Serpent Temptation«. Die US-Musikpresse reagierte ablehnend, mit Ausnahme der Undergroundmagazine.
Nach Schwierigkeiten mit einigen zwischenzeitlich ins Bandgefüge involvierten Sängern/Bassisten (Unlust, Unpünktlichkeit... ts-ts-ts), warfen die beiden Brüder Howard ihre Schwierigkeiten konsequenterweise über Bord. Und das kurz vor dem Aufnahmetermin zur zweiten LP »Beyond The Unknown«, aufgenommen im Sommer '90 im Morrissound-Studio. Und dies von den beiden im Alleingang. Francis erwies sich gezwungenermaßen als wahres Multitalent. Er übernahm Bass, Gitarren, Gesang und produzierte das Album zusammen mit Tom Morris. »Beyond The Unknown« erschien Ende '90 bei Nuclear Blast und erwies sich als schierer Ausbruch an Energie/ Gewalt/Speed à la Core-Sharpness, ein wahrer Nervensäurebadzersetzer. Wirbelnde-Koma-Orgien-Kürbis-Kern-zermalmendes-Maiglöckchen-Gas-säbelnde -Gitarrenhack-Mettwurstenden. Wer Napalm Death's Debut-Album »Scum« kennt und schätzt, wird sich hier wohlig schnurrend suhlen. Fast jeder »Sound« ist länger als vier Minuten, was das grantige Schweben in Krach und Gedärm aber nur verlängert. Und das ist verdammt gut so. (Mit Disharmonic Orchestra um 20.30 Uhr im Surprise) Peter K.
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