Inclusive Growth: Die OECD sucht das Glück
Der Klub der Industriestaaten will den Wohlstand neu bemessen. Er soll sich nicht mehr nur am Bruttoinlandsprodukt festmachen.
PARIS taz | Die Krise ist für manchen offenbar schon vorbei. In Paris beschäftigt sich der Ministerrat der 34 OECD-Staaten in dieser Woche mit der Bilanz der Krisenpolitik in den Mitgliedsländern und sozialen Aufarbeitung: Das traditionelle Wirtschaftswachstums-Credo der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, soll um neue Werte ergänzt werden. Dieses zeigt der Bericht zum „Inclusive Growth“, den die OECD bei dem Treffen debattiert.
Im Vorwort schreibt OECD-Generalsekretär José Ángel Gurría, die Steigerung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) könne nicht mehr der einzige Gradmesser für Wohlstand und Glück sein. Man müsse zum „Inclusive Growth“-Konzept übergehen – und umfassender rechnen, um Wachstum zu messen. Gurría erklärt: „Die Beschäftigungschancen, die Qualität der Arbeit, die Gesundheit, die Erziehung und die Möglichkeit, mit der Zeit reich zu werden, sind wesentlich für das Wohlbefinden der Menschen.“
Es ist interessant, wie sich im Verlauf der Jahre das Vokabular geändert hat. Seit ihrer Gründung im Jahr 1961 hat sich die OECD als „Klub der Industriestaaten“ (außer China und Russland) stets für die Öffnung der Märkte, für die Konkurrenz und Liberalisierung des Handels und der Investitionen eingesetzt. Damit hat diese Institution wie wenige andere die Globalisierung herbeigewünscht und gefördert.
Doch auch für die OECD regelte der Markt nie alles von selbst. Die OECD machte Vorschläge für staatliche Interventionen und bot sich erfolgreich als Diskussionsforum im Kampf gegen Steuerbetrug und Geldwäscherei an. Ihre Studien gehen von einer Fülle von Statistiken und Daten aus den 34 Ländern aus. Sie lassen den Vergleich politischer Maßnahmen zu. Berühmtestes Beispiel: die Pisa-Studie zu den Schulleistungen.
Ausgiebige Analysen
Mit der Krise von 2009 verschob sich der Fokus der OECD. Sie beschäftigt sich nun auch mit der wachsenden sozialen Ungleichheit. In ihren Berichten über Mitglieder und Staaten mit Beobachterstatus finden sich seither ausgiebige Analysen zu sozioökonomischen Risikofaktoren der Massenarbeitslosigkeit, der Armut und den zunehmenden Einkommensunterschieden.
Auf der Tagesordnung beim diesjährigen Treffen steht auch die „Resilienz“. In der Physik ist damit die Widerstandskraft eines Systems gegen Störungen und seine Fähigkeit, mit Veränderungen umzugehen, gemeint. In der Psychologie wird Resilienz ebenfalls verwendet. Sie wurde in Frankreich von dem Psychiater Boris Cyrulnik theoretisiert als Fähigkeit von Individuen aus einer schweren Prüfung oder einer prekären Lage – wenn möglich unversehrt oder gestärkt – herauszukommen.
Nur stellt sich die Frage: Warum gelingt das den einen und den andern nicht? Die OECD antwortet mit der aus alternativen Kreisen entlehnten These, dass Wirtschaftswachstum kein Selbstzweck sei. Sie hat bereits begonnen, die Mitgliedsländer zu vergleichen – und den „Indikator des Wohlergehens“ entwickelt. Vor der Resilienz kommt immer die Einsicht in eigene Unzulänglichkeiten. Ob die OECD analysieren wird, was nicht so gelaufen ist, wie sie das noch im Jahr zuvor gesagt hat, ist offen.
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