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In neuem Gewand

Bisher lernten Hebammen ihr Fach in einer dreijährigen Ausbildung. Eine EU-Richtlinie schreibt aber eine Akademisierung ihrer Ausbildung vor – bis zum 18. Januar 2020

Von Anna Löhlein

Jana Friedrich ist seit 20 Jahren Hebamme. Beruf, Berufung, Traumjob. Sie hat schon zwei Bücher veröffentlicht und betreibt erfolgreich den www.hebammenblog.de – ist also tief im Thema. Seit dem vergangenen Wintersemester ist sie zusätzlich auch Studentin. An der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB) lernt sie im dualen Bachelorstudiengang Hebammenkunde.

Bisher ist die EHB die einzige Hochschule der Hauptstadt, die diesen Studiengang anbietet – bundesweit sind es derzeit knapp 20 Standorte –, dafür aber schon seit 2013. Neben dem 8-semestrigen Vollstudium für NeueinsteigerInnen haben examinierte Hebammen die Möglichkeit, sich ihre Ausbildung und Berufserfahrung anrechnen zu lassen und ins 5. Semester einzusteigen. Bereits praktizierende Hebammen haben jedoch Bestandschutz – an der Anerkennung ihrer Ausbildung ändert sich auch ohne Bachelor nichts.

Was kann eine Hebamme mit langjähriger Berufserfahrung an der Uni lernen? Für Jana Friedrich ist ganz klar: „Natürlich macht eine studierte Hebamme nicht automatisch eine bessere Geburtshilfe. Das ist ein Handwerk, in dem man mit den Jahren und der Erfahrung reift und besser wird. Ich war aber neugierig zu sehen, was das Studium auf theoretischer Seite beinhaltet.“ Hier liege der Bildungsgewinn für sie im wissenschaftlichen Arbeite sowie in Fächern, die den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen wie etwa Kommunikation und Beziehungsgestaltung oder Diversität und Komplexität der Familien.

Melita Grieshop, Professorin für Hebammenwissenschaft und Studiengangsbeauftragte an der EHB, fasst zusammen: „Das Studium befähigt Hebammen, ihre Arbeit auf der Grundlage von aktuellen Forschungsergebnissen auszuüben. Darüber hinaus lernen sie, die Qualität ihrer Arbeit selbsttätig zu prüfen und neue, gesundheitsfördernde Versorgungsmodelle in die Praxis zu tragen.“ Die bessere Qualifikation von Hebammen biete die Chance auf eine Qualitätsverbesserung in der geburtshilflichen Versorgung sowie einer besseren Versorgung der Mütter und Familien – das sei gesundheitspolitisch extrem wichtig. „Hebammen haben einen gesundheitsfördernden Auftrag, dieser kann im Studium stärker eingebunden werden. Die bessere Bildung kommt den Frauen, Kindern und Familien zugute.“

Die Akademisierung der Hebammenausbildung findet auf Seiten der Hebammen große Zustimmung. Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes e. V. (DHV), sagt: „Der DHV setzt sich seit über 20 Jahren für die Akademisierung ein, da nur so das hohe fachliche Niveau der Hebammenarbeit widergespiegelt werden kann. Deutschland bildet bei der Umstellung EU-weit das Schlusslicht. In den anderen Ländern der EU wurde das Qualifikationsniveau größtenteils schon vor vielen Jahren angepasst.“

Es gibt schon eine Unterversorgung mit Hebammen in der klinischen Geburtshilfe

Die Hebammenarbeit sei gekennzeichnet vom hohen Grad der Verantwortung und der Komplexität der Aufgaben, so Geppert-Orthofer weiter. „Die Kenntnis und die Anwendung aktueller wissenschaftlicher Ergebnisse und Standards sind gesetzlich und vertraglich festgelegte Voraussetzungen für die Berufsausübung und nur im Rahmen einer akademischen Ausbildung zu gewährleisten.“ Um auf diese hohen Anforderungen bereits durch die primäre Berufsqualifikation vorbereitet zu sein, sei ein Hochschulstudium zwingend erforderlich.

Professorin Grieshop verweist darauf, dass Hebammen mit dem Studium jenen Bildungsabschluss erhalten, der ihnen aufgrund ihrer weitreichenden Aufgaben in der eigenständigen Versorgung von Frauen und ihren Neugeborenen sowie Familien zusteht. Das habe auch frauenpolitische Bedeutung, so Grieshop, „denn der Hebammenberuf ist bis heute fast ausschließlich weiblich besetzt“.

Wo viel Zustimmung ist, bleibt Kritik nicht aus. Diese kommt aus den Reihen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und dem Berufsverband der Frauenärzte e. V. (BVF). So warnten die Ärzteverbände zuletzt in einem offenen Brief vor einer Verschärfung des bestehenden Hebammenmangels und einer damit einhergehenden Verschlechterung der Versorgung in der klinischen Geburtshilfe.

Dazu stellt der DHV klar, dass – obwohl derzeit schon mehr Hebammen ausgebildet würden als je zuvor – bereits heute eine Unterversorgung in der klinischen Geburtshilfe bestehe. Diese hänge aber nicht mit der hochschulischen Ausbildung zusammen, sondern vielmehr mit den Arbeitsbedingungen im Kreißsaal: einem hohen Arbeitsaufkommen, starken Hie­rarchien und der Last vieler berufsfremder Aufgaben, welche dieses Arbeitsfeld für AbsolventInnen häufig eher unattraktiv mache. Daher entschieden sich viele für eine Berufsausübung abseits der klinischen Geburtshilfe.

Auch Grieshop nennt die Befürchtung der Ärzteverbände haltlos und verweist auf die kontinuierliche Erhöhung der zusätzlichen Ausbildungsplätze durch die parallele Einrichtung von Studienplätzen, während die Hebammenschulen noch laufen. In Berlin gibt es im kommenden Wintersemester fast 50 Studienplätze plus 4 Plätze für ein verkürztes Studium – eine Erhöhung um 30 Plätze gegenüber 2013.

Bachelor statt Ausbildung

Drei Jahre Ausbildung. So erlernten Hebammen bisher vorrangig ihr Fach. Künftig soll das nur noch über einen dualen Hebammenstudiengang möglich sein, wie sie einige Hochschulen bereits anbieten (s. u.). Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will damit eine EU-Vorgabe umsetzen, die eine Akademisierung der Hebammenausbildung bis zum 18. Januar 2020 vorschreibt. Deutschland ist dabei das letzte EU-Land, in dem dies noch nicht so ist. In Berlin bietet die Evangelische Hochschule Berlin (EHB) bereits seit 2013 den dualen Bachelorstudiengang Hebammenkunde an. Sie ist damit die einzige Hochschule der Hauptstadt mit diesem Studiengang – bundesweit sind es knapp 20 Standorte. An der ESB wird die Zahl der Studienplätze ab dem kommenden Wintersemester auf fast 50 (plus 4 Plätze für ein verkürztes Studium) erhöht – fast 30 Plätze mehr als zuvor.

Ein weiterer Kritikpunkt der Ärzteschaft zielt auf einen Engpass an qualifizierten DozentInnen an den Hochschulen ab. Dazu stellt Geppert-Ort­hofer fest: „Der Gesetzgeber sieht im jetzigen Gesetzentwurf vor, dass noch bis 31. Dezember 2021 Kurse an Hebammenschulen beginnen dürfen und diese bis 2026 beendet werden müssen.“ Darüber hinaus können die Schulen bis Ende 2030 noch Kooperationen mit Hochschulen eingehen und Teile der Lehre übernehmen. „Der DHV geht davon aus, dass diese Übergangszeit gut von den LehrerInnen der Hebammenschulen genutzt werden kann, um an die Hochschulen in die neuen Studiengänge zu wechseln.“

Hebamme Jana Friedrich wird zum kommenden Wintersemester ins 7. Semester starten und hat noch lange nicht genug: „Wenn ich den Bachelor gemacht habe, kann ich mir gut vorstellen, noch einen Master draufzusetzen. Dann besteht die Möglichkeit, auch in der Lehre oder Forschung zu arbeiten.“ Noch ist der Masterstudiengang an der EHB allerdings nur in Planung – es hakt an der Finanzierung. „Es braucht unbedingt rechtliche Klarheit in den Wissenschaftsministerien über die Zuständigkeit für die Finanzierung des wachsenden Bachelorstudienganges. Dasselbe gilt für den Aufbau eines Masterstudienganges an der EHB“, sagt Grieshop.

Was aber definitiv zum 1. Oktober anläuft, ist der „Anpassungslehrgang für zugewanderte Hebammen“. In einem zwölfmonatigen Programm können Hebammen mit einem außerhalb der EU erworbenen Abschluss, der in Deutschland nicht anerkannt ist, diese Anerkennung erlangen – soziale Integration durch Bildung und Qualifizierung.

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