„In mir lodert noch das Feuer“

ABSCHIED Was wäre aus Baden-Württemberg geworden – ohne ihn? 27 Jahre lang moderierte Wieland Backes das „Nachtcafé“ im SWR und suchte dabei nach Wahrheiten über Haustiere, Prinzessinnen, Sex und Politik. Manchmal sah er dabei aus, als würde er gleich einschlafen

■ Der Mann: Wieland Backes, 68, ist als Gründer und Moderator des „Nachtcafés“ das Gesicht des SWR und der wohl prominenteste Journalist Baden-Württembergs. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und hat drei Kinder.

■ Die Sendung: „Nachtcafé“ ist die am längsten laufende deutsche Talkshow. Läuft freitags, dauert 90 Minuten, ist monothematisch. Neuer Gastgeber ab Januar ist Michael Steinbrecher.

■ Backes’ letzte Sendung: Am Freitag, 12. Dezember, 22 Uhr, mit dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Harald Schmidt. Thema: „Happy End“.

GESPRÄCH PETER UNFRIED
FOTO BORIS SCHMALENBERGER

Wieland Backes kommt in das Café im Literaturhaus neben der Stuttgarter Liederhalle. Anzug, keine Krawatte. Die Redaktionsbüros seiner SWR-Talkshow „Nachtcafé“ sind nur ein paar Schritte entfernt. Am Abend davor hat er eine Sendung aufgezeichnet. Das spürt er jetzt in den Knochen. Er ist nach der Aufzeichnung ausnahmsweise nicht mit zum gemeinsamen Essen von Redaktion und Gästen gegangen, weil er für das taz-Gespräch topfit sein will. Sagt er.

taz: Soll man seine Leiche einfrieren lassen, oder geht’s gleich in den Himmel, Herr Backes?

Wieland Backes: Ich habe die Haltung: Es gibt ein Leben vor dem Tod. Wenn Schluss ist, ist Schluss, deshalb sollte man möglichst Sinnvolles bereits hier auf Erden anstellen.

Sind Tiere die besseren Menschen?

Wenn Sie damit auch auf meine Sendung anspielen: Ich habe intensive Begegnungen mit dem Leben und habe dabei den Glauben an die Menschheit nicht verloren.

Die Fernsehkritikerin Barbara Sichtermann hat das Nachtcafé in der Zeit als kulturellen Ort geadelt, an dem „Kontexte öffentlichen Interesses“ erschlossen werden.

Ja, sie hat geschrieben, es würde uns gelingen, aus einer Gruppe von Menschen einen entschlossenen Trupp von Wahrheitssuchern zu machen. Das hat mir sehr geschmeichelt.

Seit 27 Jahren suchen Sie Wahrheiten über tödliche Krankheiten, geliebte Haustiere, Samenspenderproblematiken bis hin zu sexueller Vielfalt im Lehrplan. Was treibt Sie an?

Man trifft ja im Leben auf viele Herausforderungen. Mein großes Glück ist: Ich habe die richtige für mich gefunden. Und das Glück wird noch dadurch größer, dass die Zuschauer es auch so sehen und die Spitze meines Senders ebenfalls. Das ist ein einmaliger Glücksfall. Meine Dankbarkeit dem SWR gegenüber kommt von Herzen.

Das war doch kein Zufall, Sie haben sich genommen, was Sie haben wollten.

Stimmt, das Nachtcafé musste erkämpft werden, mit einer kleinen, kühnen Truppe. Ich habe meine eigene Abteilung gegründet. Wir wurden erst mal abgeschoben in eine heruntergekommene Mietwohnung, ohne Sekretärin. Auch im Studio gab es keinen Platz für uns. Am Anfang hat kaum einer einen Pfifferling auf die Sendung gegeben.

Sie nannten Ihre Abteilung: Journalistische Unterhaltung.

Wir nannten uns zunächst „Unterhaltende Information“.

Was ist der Unterschied zum bildungsbürgerlich schlecht beleumundeten Infotainment?

Ich fühle mich auch heute noch als Journalist, nicht als Entertainer. Auch wenn wir mit den Mitteln des Boulevards arbeiten, fühle ich mich den Inhalten verpflichtet. Aber das Fernsehen hat seine allergrößten Stärken nicht in der puren Information, sondern in der Vermittlung von Inhalten über die emotionale Kraft von Bildern, Worten, Geräuschen und Musik. Ich sah damals die Chance, mich diesem Bereich mit Pioniergeist zuzuwenden.

Warum sind Sie immer monothematisch gewesen?

Wir wurden angeregt durch den monothematischen „Club 2“ im ORF. Wir haben gemerkt, dass uns eine Debatte vor dem Hintergrund der individuellen Geschichten stärker in den gesellschaftlichen Kontext bringt als eine reine Personentalkshow.

Sie sprechen viel mit Menschen, die das Leben hart erwischt hat, Traumatisierten, Trauernden, unheilbar Kranken. Wie verhindern Sie, dass Sie abstumpfen?

Es gibt eine déformation professionelle, das ist so. Ein Unfallarzt entwickelt mit der Zeit ein professionelles Verhältnis zu seinen Unfallopfern. So ist es bei mir mit den Schicksalen. Ich bemühe mich sehr, sensibel zu bleiben, aber man ist einfach einiges gewohnt.

Wie äußert sich das?

Ich erlebe, dass mir im Privaten jemand etwas erzählt und ich ertappe mich dabei, dass ich denke: Was jammerst du eigentlich? In meiner Sendung erlebe ich viel tragischere Geschichten.

Eines Ihrer Lieblingszitate ist aus Goethes Faust I: „Was ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln.“ Was sagt uns das?

Der Zeitgeist wandelt sich, aber dahinter stehen konkrete Menschen. Unser Format spiegelt über Menschen die Zeit und die prägenden Tendenzen.

Wie hat sich der Zeitgeist entwickelt?

Als 1987 alles losging, waren die Ausläufer von 1968 noch in der Diskussionskultur zu spüren. Alles war konfrontativer und exzessiver. Dann kam eine Haltung, die sich als Toleranz ausgab, was in vielen Fällen aber nur Desinteresse am anderen war. Jetzt haben wir eine größere Offenheit, aber nicht mehr diese Gleichgültigkeit. Man kann sogar wieder moralisch und ethisch argumentieren.

Harald Schmidt definierte mal den Zeitgeist. Aber am Ende war er nur eine ironische Episode gegen Sie?

Von Harald Schmidt halte ich viel, und wir wissen, er hält viel vom „Nachtcafé“. Auf dem Bildschirm sind wir zwei getrennte Baustellen. Ich sehe unsere Rolle als eine kleine Schule des Lebens. Wir sind nicht unpolitisch, sondern in diesem Sinne auch ein klein wenig bewusstseinsbildend. Das Private ist das Politische, davon bin ich überzeugt.

Unlängst hatten Sie eine chirurgisch optimierte Frau, deren Lebensziel es ist, prominent zu sein. Was ist daran politisch?

Das ist ein Phänomen unserer Zeit.

Die anderen starrten so ein bisschen auf sie wie auf eine Jahrmarktsfigur.

Das ist eine Extremfigur unseres gesellschaftlichen Panels: jemand, der nach medialer Aufmerksamkeit sucht und sich dafür im weiteren Leben zu verrennen droht. Da wird kaum ein erfüllter Lebensentwurf daraus. Aber die Glitzerfiguren aus der inhaltsleeren Seite der Medienwelt werden heute die Träume von Millionen. Wie viele Mädchen wollen heute Model oder einfach nur berühmt werden.

Sie haben in dem Gespräch Ihre Augenbraue hochgezogen.

Mein Verhalten ist nicht einstudiert, sehr viel ist intuitiv.

Es ging aber schon darum, dass Sie und Ihr Publikum ein bisschen die Nase rümpfen?

Ich würde sagen: Ein bisschen mahnend den Finger zu heben ist statthaft. Das sind gefährliche Lebensentwürfe, ich habe ja am Beispiel von „Nachtcafé“-Gästen erlebt, wie viele später in Drogen und Depression abgerutscht sind.

Talkshows benutzen diese Menschen und ihre Sehnsüchte.

Richtig, aber sie werden in den bunten Formaten ganz anders präsentiert als bei uns. Wir versuchen uns diesen Zeitphänomenen kritisch anzunähern.

Die Leute machen sich bei Ihnen auch nackt, aber sie verlieren Ihre Würde nicht. So?

Das ist immer mein Ziel. Sachgesteuerte Neugier und zugleich Verantwortung und Schutz für den Gast, davon versuche ich mich leiten zu lassen. Dies gilt insbesondere bei den Gästen, die zum ersten Mal vor eine Kamera geraten sind. Was mich freut: Viele, die mit schweren Geschichten kamen, haben das hinterher als Befreiung empfunden.

Wie machen Sie das?

Vielleicht lässt sich das an einem konkreten Gast erläutern, bei dem wir im Zweifel waren, ob ein „Nachtcafé“-Auftritt eher riskant sein könnte. Das war Siegfried Kauder, der Bruder des CDU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder. Der war auch einige Jahre im Bundestag, passte aber offenbar nicht ganz ins Raster.

Die CDU stellte ihn kalt.

Er kam bei uns an und ich dachte sofort: Um Gottes willen. Alles an ihm war sperrig und abwehrend, auch die Körpersprache. Ein hochintelligenter Mensch, für seine politische und private Umgebung sicher nicht immer einfach und seit dem schmerzlichen Ende seiner Politikerlaufbahn tief verletzt. Doch dann merkte er in der Sendung plötzlich, dass er bei uns angenommen wurde. Und dann begann er zu erzählen, und man spürte die ganze Tragik dieser Geschwisterbeziehung. Er hat mir etwas vermittelt über die Gnadenlosigkeit des Politikbetriebs, die selbst vor dem eigenen Bruder nicht haltmacht.

Die eiserne Regel lautet: Je unbekannter die Gäste, desto schlechter die Quote. Das haben Sie überwunden. Ist das Ihr historisches Verdienst?

Vor allem das meiner Redaktion. Unter der Leitung von Martin Müller hat sie in dieser Hinsicht Maßstäbe für die Qualität gesetzt. Wir streben maximal einen bis anderthalb Prominente pro Sendung an. Bei Nichtprominenten geht es um den Wert der persönlichen Geschichte, die für etwas in der Gesellschaft steht. Das verlangt aufwendige Recherchen, aber unsere Leute können das einfach.

Sie wählen Ihre Gäste nach dem Kaspertheaterprinzip, also Kasper, Seppl, Fee, Oma, Krokodil. Was muss der Kasper leisten?

Das Prinzip hat Peter Huemer, Chef von „Club2“, erfunden. Wenn man Interaktion will, braucht man unterschiedliche Charaktere und Temperamente. Den knitzen, etwas chaotischen Kasper, den Wadenbeißer, also das Krokodil, und die Prinzessin, die alle anhimmeln.

Ich denke, Sie wollen die Wahrheit suchen und nicht baggern?

Ich sagte doch: Fernsehen wirkt vor allem über Emotionen. Der Flirtfaktor spielt auch eine Rolle in so einer Runde. Will man der Prinzessin gefallen oder langweilt sie einen – das setzt menschliche Urenergien frei.

Unlängst hatten Sie die Schauspielerin Ruth Maria Kubitschek zu Gast in der Sendung. Was war sie?

Eine Prinzessin mit viel Lebenserfahrung.

Welcher Gast sitzt neben Ihnen?

Abwägungssache.

Aber im Zweifel blond?

Meine Redaktion tendiert aus Marketinggründen dazu, die hübscheste Frau neben mich zu setzen. Ich selbst bin da frei von jeder Schuld.

Manchmal sieht es so aus, als ob Sie selbst gleich einschlafen würden.

Ja?

Sie schlafen aber nicht, Sie schnappen auch plötzlich zu. Sie sind ein Meister im Unterbrechen.

Moment, wir haben den Ruf, die Talkshow zu sein, bei der man ausreden kann.

Eben, Sie machen das so, dass es nicht unangenehm auffällt.

Eine solche Sendung braucht Stringenz, und da hilft gelegentlich eine sanfte Form von Brutalität. Sie müssen gut zuhören, den richtigen Augenblick ergreifen – ein Luftholen zum Beispiel – und dann schnell sein.

Wer ist schwer zu unterbrechen?

Politiker. Bei denen tun Sie sich schwer mit dem Unterbrechen, obwohl der Redefluss nicht immer mit der Inhaltsdichte einhergeht.

Wie hat Sie Ihre Kindheit geprägt, Herr Backes? Sie waren das jüngste Kind, hatten fünf Brüder.

Ich bin ein Kind der Not, zehn Jahre nach dem Zweitjüngsten geboren. Die Eltern waren Lehrer und sind mit meinen fünf Brüdern im Gepäck nach Österreich geflohen. Nach Kriegsende wurde meine Mutter mit 40 noch einmal schwanger. Es gab Probleme, aber meine Eltern haben sich spontan entschieden, das Kind soll zur Welt kommen. Und das war dann ich: Ein Wunschkind auf den zweiten Blick. Die Familie hatte kaum ein Dach über dem Kopf, nichts zu beißen. Wir sind dann 1948 über die grüne Grenze der Besatzungszonen leicht illegal nach Württemberg eingewandert.

Sie wuchsen am Rande des Schwäbischen Waldes auf, eher abgelegen.

Der Ort heißt Auenwald und hatte damals nicht mal eine asphaltierte Durchgangstraße. Es gab drei Teilorte. Mein Vater war Schulleiter in Oberbrüden, meine Mutter Schulleiterin in Unterbrüden, gewohnt haben wir in Mittelbrüden.

Mussten Sie sich als Kleinster in den Mittelpunkt kämpfen?

Nein, meine Mutter hatte eine schier unglaubliche Liebesfähigkeit, es gab für mich als Kind nie Zweifel, dass ich in der Familie angenommen war. Es gab aber auch oft Unruhe. Der Krieg hat meinen Brüdern die Jugend ziemlich verhagelt. Die hatten auch künstlerische Ambitionen, die es mit sich brachten, dass es in der Familie viele Sorgen und Turbulenzen gab. Ich selbst war dann schon ein Wirtschaftswunderkind und auch, das werden Sie nicht glauben, ein ziemlich wilder Kerl.

Hm.

Doch. In meinem Grundschulzeugnis stand: „Wieland stört durch seine lebhafte Art die Mitschüler beim Unterricht. Seine spielerische Haltung sollte allmählich in eine konsequente Arbeitshaltung übergehen.“

Klingt ziemlich wild.

Meine Eltern waren sich zeitweise nicht sicher, ob sie mich auf eine höhere Schule schicken sollten. Ich wollte eigentlich Filme machen, aber alle sagten: Der Kleine muss etwas Ordentliches werden. In unserer Familie war Lehrer das Höchste, und so habe ich ein Gymnasiallehrerstudium begonnen und auch abgeschlossen. Aber schließlich wollte ich doch nicht in die Schule.

Sie haben es dann zum Dr. rer. nat. gebracht. Die Doktorarbeit war für die Katz?

Im Gegenteil. Welchen Dienst ich der Wissenschaft erwiesen habe, weiß ich nicht, und die Doktorarbeit fertigzustellen war ein Albtraum. Aber es war auch eine Übung in Disziplin und wichtig für mein Selbstvertrauen. Ich war zur gleichen Zeit nach einem Praktikum beim SDR gelandet. Die wollten mich behalten, aber ich hatte existenzielle Angst, als ewiger Doktorand im Haifischbecken unterzugehen.

Wann haben Sie beschlossen, dass Sie auf dem Bildschirm ganz nach oben wollen?

Das Wort „Karriere“ hatte damals einen Hautgout. Das war das Lebensziel der Vorgängergeneration, die unsereins massiv kritisierte. Das sitzt immer noch tief in mir. Ich wollte nicht berühmt werden, mich hat das Machen interessiert, die Idee morgens unter der Dusche, aus der dann irgendwann ein kreatives Produkt, etwa eine Fernsehsendung, wird.

Das sagen alle.

Klar, ich hatte den narzisstischen Trieb, vor die Kamera zu gehen. Aber ich wollte inhaltlich etwas Vernünftiges machen, und ich denke, da ist eine gute Balance gelungen. Sowohl meine privaten Partnerinnen als auch meine Berufspartner waren immer stark und haben sehr viel dafür getan, dass ich nicht abgehoben habe. Das klingt jetzt wie Koketterie, ist aber meine Überzeugung: Man darf diesen Beruf nicht überbewerten.

Vermissen Sie Ihre Langhaarfrisur der 70er Marke Beckenbauer-Style?

Ich habe meinen Frieden mit meiner Glatze geschlossen. Es haben mir genügend Menschen, auch Frauen, bestätigt, dass sie den Eros nicht wesentlich trübt.

Würden Sie sich als schwäbischen Bürgerlichen bezeichnen?

Ich fühle mich auch nach 66 Jahren hier nicht als Schwabe. Ich spüre das k. u. k. Blut in mir, ich bin emotionaler und outspokener als der Durchschnittsschwabe.

Emotionaler und outspokener als ein Schwabe?

Ich wirke zwar ruhig, aber in mir lodert immer noch das Feuer.

Aber etwas bürgerlich sind Sie schon?

Ich bin auch nicht bürgerlich. Ich bin ein Kind von 1968. Ich war nicht im SDS oder in einer K-Gruppe, aber ich bin vom Geist dieser Zeit geprägt. Den Mief der fünfziger und frühen sechziger Jahre habe ich noch selbst erlebt, und er war mir zutiefst zuwider. Ich träumte von einer freieren, einer weniger starren und weniger intoleranten Gesellschaft.

Viele sind aus Baden-Württemberg geflohen, die der Geist von 1968 geprägt hat. Warum sind Sie geblieben?

Das ist auch für mich selbst ein Phänomen. Ich hatte Angebote, die durchaus einen beruflichen Fortschritt bedeutet hätten. Ich glaube, dahinter steckt eine Urangst. Die Angst, sich zu verlieren und in der weiten Welt unterzugehen. Da merkt man die Kindheit im hinterwäldlerischen Dorf, in der schon der Schritt auf das Gymnasium der Kreisstadt ein großer war. Aber ich glaube nicht, dass das eine Geisteshaltung ist. Es sind tiefer gehende Ängste, die Sehnsucht nach übersichtlichen Biotopen und verlässlicher Orientierung.

Diese Sehnsucht stillt Stuttgart?

Ja. Na ja. Meine Frau sagt immer: Wollen wir nicht einmal den Aufbruch wagen, woandershin ziehen?

Wollen Sie?

Also, wir sitzen ja jetzt gerade im Literaturhaus in Stuttgart, das ich mitgegründet habe, ich bin als Honorarprofessor an der Hochschule der Medien aktiv. Es gibt also durchaus spannende Punkte der Identifikation in dieser Stadt.

Sie repräsentieren das neubürgerliche Baden-Württemberg mit seiner Mischung aus Konservativismus und Aufgeklärtheit. Ist es so richtig?

Nein.

Nein?

Ich halte mich für einen offenen und fortschrittlichen Menschen. Es geht mir heute wunderbar, aber ich habe unter konservativen Strukturen lange genug gelitten. Ein schwäbischer Konservativer bin ich sicher nicht.

Am Ende Ihrer Sendung hauen Sie traditionell ein Bildungsbürgerzitat heraus.

Das ist eine Geste an unsere Zuschauer, die das über alle Maßen schätzen.

Wie hat sich Baden-Württemberg in den letzten fünf Jahren verändert?

Ich finde, es herrscht ein guter Grundgeist in Baden-Württemberg, weil Ministerpräsident Kretschmann die Brücke baut von der Bürgerlichkeit in eine offene Gesellschaft. Das hat dem Land gutgetan, wie es dem Land auch gutgetan hat, nicht im Besitz einer Partei oder Koalition zu sein. Das merkt man bis in die Gerichtsbarkeit hinein. Meine Identifikation mit dem Land hat sich erhöht, weil ich gesehen habe, dass Krusten aufbrechen können.

Sie waren bei der Grünen-Wahlparty nach Winfried Kretschmanns Sieg 2011. Was führte Sie dorthin?

Ich gehe auch auf Siegesfeiern der CDU. Für mich ist innere und äußere Unabhängigkeit ganz wichtig. Aber ich bekenne offen, dass ich einen Ministerpräsidenten Stefan Mappus für einen Albtraum für dieses Land und einen Tiefpunkt der baden-württembergischen Politik gehalten habe. Da gab und gibt es in der Union zum Glück was Besseres.

Was sehen Sie sich im linearen Fernsehen an?

Hauptsächlich „Tagesthemen“ oder „heute-journal“. In unserer Familie gibt es einfach andere Prioritäten.

Kein professioneller Konkurrenzcheck?

Wenn neue Formate auf den Markt kommen, dann ja. Aber ich bin ein so überzeugter Öffentlich-Rechtlicher, dass ich zu Hause keine Privatprogramme empfange.

Wie verhindert man das?

Die sind bei uns nicht programmiert, auch wegen unserer Tochter.

Ihre Tochter ist zehn, weshalb Ihnen die Redaktion mal das Thema „Späte Väter“ reindrückte.

Ich habe damit kein Problem. Es ist nicht meine grundsätzliche Empfehlung, ein später Vater zu sein. Aber ich habe ein zweites Mal geheiratet, und die Liebe war so groß, dass auch der Wunsch da war, ein gemeinsames Kind zu haben. Wir leben jetzt ein modernes, voll berufstätiges Familienleben mit Arbeitsteilung. Mir ist das Kochen anvertraut.

Die große Frage ist doch die: Was sind Sie ohne Ihre Sendung?

Der Bildschirm ist eine Droge, viele können nicht loslassen und müssen von den Entscheidern aus dem Studio getragen werden. Das ist nicht gut. Das habe ich vermieden. Wir erleben mit dem „Nachtcafé“ ein sehr erfolgreiches Jahr und Quoten wie lange nicht mehr. Ich liebe meine Sendung, und wie es ohne sie ist, das muss ich wirklich erst am Leib erfahren. Aber mir scheint zu gelingen, was ich mir schon sehr lange vorgenommen hatte. Der Schluss muss gut sein: ein Happy End.

Peter Unfried, 51, ist Chefreporter der taz. Er zieht das „Nachtcafé“ den Stuhlkreisen der Polit-Talkshows vor

Boris Schmalenberger, 48, ist freier Fotograf in Stuttgart. Er hat Wieland Backes genauso oft fotografiert, wie er „Nachtcafé“ gesehen hat: drei Mal