: In fremden Taxigewässern
■ Taxi fahren im Osten wird zum Luxus / West-Droschkenfahrer befürchten Konkurrenz von Ost-Kollegen / „Drastische Erhöhung“ der Tarife zu früh
Berlin. Durch die vom Ostberliner Verkehrsstadtrat Thurmann in Zusammenarbeit mit Verkehrssenator Wagner abgesegnete Anhebung der Taxitarife auf Westniveau ist das Taxifahren im Osten ein unbezahlbarer Luxus geworden. Am augenscheinlichsten sind die Folgen der vorschnellen Tarifvereinigung am Bahnhof Friedrichstraße: Wo früher durchschnittlich 50 Leute um die spärlich angondelnden Droschken stritten, stehen sich heute die grauen, braunen, roten und blauen Ost-Taxis zu Dutzenden die Räder eckig.
Entsprechend ist die Stimmung bei den Fahrern, die früher nicht mal zum Zeitung lesen kamen: „Ick steh hier seit eineinhalb Stunden...“, „Bisher konnten wir uns die Fahrgäste aussuchen, jetzt suchen die sich das schickste Auto aus - mit Wolga oder Wartburg kiekste ganz schön dumm aus der Wäsche...“, „Ne Tour nach Marzahn hat früher 'nen Zehner gekostet, jetzt mußte ich 22 Mark verlangen. Die Frau hat sich entschuldigt, daß sie kein Trinkgeld gibt - und ich hab mich geschämt, soviel verlangen zu müssen...“, „Im Mai hab ich 4.000 Mark Umsatz gemacht, wenn's so weitergeht, komm ich diesen Monat gerade mal auf 200“, „Im Westen Fahrgäste laden, das mach‘ ich nicht, einmal kennt man sich da ja nicht richtig aus und zum zweiten will ich keinen Ärger mit den West-Kollegen...“, „Haste Rias gehört? Da hat ein Westberliner Kutscher gesagt: Der ersten Droschke, die sich an einen unserer Halteplätze stellt, schlitz ich die Reifen auf...“
Um die Gesamtberliner Taxivereinigung komplett zu machen, wurde das Verbot der „Kabotage“, wie das Fischen in fremden Taxigewässern genannt wird, vom Ostberliner Magistrat kurzerhand aufgehoben und die Pflichtfahrgebiete für alle Taxis auf ganz Berlin und Umgebung ausgedehnt. Da es im Osten seit Einführung der neuen Tarife kaum noch Fahrgäste gibt, befürchten die Westkutscher eine Invasion von Ost -Droschken nach Westberlin - und damit gehörige Umsatzeinbußen. So liefen dann in den Westberliner Taxiverbänden über Funk und in den Büros die Drähte heiß: „Dürfen wir drüben laden?“, wurde gefragt, und, weitaus häufiger: „Dürfen die denn hier laden?“
Mit der gleichen Frage beschäftigten sich am Mittwoch im Hause des Westberliner Verkehrssenators Wagner die Vertreter der Ost- und Westberliner Taxiverbände. In Sachen Tarife gab Wagner zu, daß es für solch eine drastische Erhöhung zu früh gewesen sei. Man habe jedoch unter Handlungsdruck gestanden, da der Magistrat eine noch krassere Erhöhung der Fahrpreise beschlossen hätte. Die Aufhebung des Kabotageverbots wurde erstmal wieder zurückgenommen. Da zunächst ein gemeinsamer „Ordnungsrahmen“ für Ost und West geschaffen werden müsse, tritt die Aufhebung des Verbots erst nach einem entsprechenden Senatsbeschluß in Kraft.
Barbara Wollborn
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