piwik no script img

Archiv-Artikel

In fremden Betten

Ivo van Hoves „Faces“-Version am Schauspielhaus

Liegen Sie gern mit Fremden im Bett? Dann sollten Sie mal wieder ins Theater gehen. Im Schauspielhaus bekommen Sie im Austausch für Ihre Schuhe eine Platzkarte für ein Bett mitten auf der Bühne. Wer dort so neben Ihnen liegt, wird sich zeigen. Das Callgirl Jeannie Rapp in John Cassavetes‘ Film Faces von 1968, nach dem der flämische Regisseur Ivo van Hove sein gleichnamiges Stück als rasante Bettenparty inszeniert hat, kann sich ihre Bettpartner schließlich auch nicht aussuchen.

Faces beginnt mit einem flotten Dreier. Jeannie nimmt zwei Geschäftsleute, die sie kurz zuvor in einer Bar kennen gelernt hat, mit nach Hause. Zum Versicherungsvertreter Richard entspannt sich bald mehr als eine geschäftliche Beziehung. Doch Richard ist verheiratet, und seine Ehefrau Maria zieht in derselben Nacht durch die Kneipen, bis auch sie einen jungen Mann abschleppt.

Während das Publikum bequem zu zweit oder zu dritt in Doppelbetten lümmelt, spielt sich das neue Ensemble des Schauspielhauses die Seele aus dem Leib. An Stehtischchen werden Drinks gekippt und Gläser achtlos weggeworfen. So gedankenlos, wie alle ihre Beziehungen aufs Spiel setzen. In einer flirrend heißen Nacht gestehen sie einander ihr langweiliges Eheleben zwischen Doppelhaushälfte, Drittauto und Fernsehabend. Sie lügen und schmeicheln, sie umgarnen, küssen und verprügeln einander.

Nein, mitmachen muss das Publikum nicht bei diesem Kampf um Liebe, Nähe und Anerkennung, der schließlich in tiefer Enttäuschung endet. Aber rausziehen kann es sich auch nicht. Dafür kommen die Gesichter zu nahe, so nahe wie sonst nur auf der Leinwand.

Was bei Cassavetes im Film die Großaufnahmen provozieren, schafft van Hove durch die räumliche Nähe zwischen Publikum und Ensemble. Und wir leiden mit Maria (Katja Danowski), die traurig von ihrer zerbrochenen Ehe mit Richard (Samuel Weiss) erzählt. Wir leiden mit Jeannie (Monique Schwitter), bei der sich die Männer erst ausweinen, um sie dann als Nutte zu beschimpfen. Was Trost spendet an diesem gefühlsintensiven Abend über Lebenslügen, Lust und Leere: die Gewissheit, dass sich die Zeiten geändert haben. Frustrierte Nur-Hausfrauen sind mittlerweile Dinosaurier, der Durchschnittsmann ist längst seiner Rolle als Nur-Versorger entwachsen. Doch es bleibt das Nichtverstehen, die beidseitige Überforderung auch in den neuen Geschlechterrollen. Karin Liebe

Nächste Vorstellungen: 9.+16.10., 21 Uhr, Schauspielhaus