: In die Welt hinein
■ Smog und David Grubbs geben der Banalität des Schmerzes einen Klang
Einsamkeit ist ein mächtiges Wort und gern zur Hand, um zu erläutern, wieso große Jungs Musik machen. Tatsächlich vermag es nicht ohne weiteres jenen Moment zu beschreiben, an dem sie anfangen, die empfundene Isolation zu durchbrechen. Denn das entscheidende ist vielmehr der Entschluß, die Kraft aufzubringen, diesen Zustand soweit zu verlassen, daß er vermittelbar und eben auch Musik wird. Bill Callahan alias Smog und David Grubbs haben diesen Schritt zu unterschiedlichen Zeiten gemacht: Anfang der Neunziger und Mitte der Achtziger.
Auch wenn ihre Geschichten weit auseinanderliegen, verbindet sie die Fähigkeit, dem Schmerz und der Banalität des Leidens einen Klang zu geben. In ihrer jeweiligen Ausprägung sind sie dabei allerdings nicht gerade direkte Nachbarn. Bill Callahan steht in der Tradition des klassischen Künstlersubjekts, das die Augen aufhält und doch aus der Selbstschau mehr Erkenntnis gewinnt als durch Austausch. So zumindest scheint es. Zudem wurden gerade die frühen Smog- Platten im Kontext der aufkommenden Homerecording-Welle rezipiert, die den Künstler als Typen ansah, der noch nicht einmal in der Lage ist, das Schlafzimmer zu verlassen.
Für das neue Album, Red Apple Falls, begab sich Callahan aber in die Obhut Jim O'Rourkes, der trotz seiner äußeren Ähnlichkeit mit Mr.Bean nicht im Verdacht steht, demnächst bei Vera am Mittag die Hosen herunterzulassen. Und doch schaffte gerade der Tausendsassa aus Chicago, die musikalischen Gebilde transparenter zu gestalten. Die Instrumentierung ist vielseitiger, die Person deutlicher. Noch immer lebt Smog in jeder Hinsicht von der Intensität Bill Callahans als Solist. Doch das Bild des ewig Leidenden, der als Solipsist an sich und seinen Vorstellungen herumdoktort, ist kaum mehr aufrecht zu erhalten. Das Licht scheint inzwischen vielmehr aus ihm selbst.
Daß der in Chicago lebende Louisville-Sohn trotz aller Abstraktion Tasten und Saitenklängen eine ungeheure Wärme und Sensibilität geben kann, müßte die Welt eigentlich spätestens seit Gastr del Sol erschüttern. Wird sie aber nicht. Vom Hardcore kommend entwickelte Grubbs in den letzten acht Jahren von Bastro bis zu seinem unlängst erschienenen Solo-Debüt Banana Cabbage, Potato Lettuce, Onion Orange einen Stil, der unverkennbar und gleichzeitig ewig neu ist. Tonfolgen und Arrangements, die sich vermeintlich komplett vom Ursprung – dem Künstler – entfernen, um dann plötzlich eine Eindringlichkeit zu bekommen, die schon längst vergessen schien. Die Einsamkeit wird von ihm jedoch nicht so sehr an seiner Person vorgeführt als am Klang selbst. In der Repetition formuliert er sowohl die Banalität des Ereignisses als auch die ihm innewohnende Kraft und Ausstrahlung, die durch Beharrlichkeit spürbar wird.
Zwei unterschiedliche Konzep-tionen des aufgeklärten Künstlers als Popmusik in Zeiten von Überindividualisierung und Konformisierungsprozessen in Kultur und Gesellschaft. Wenn es nicht irgendwie ziemlich cool wäre, würde es die Welt erschüttern.
Carsten Hellberg
So, 28. September, 20 Uhr, Prinzenbar
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