■ In der gestrigen Bundestagsdebatte über die Beteiligung der Bundeswehr am UNO-Einsatz in Bosnien wollte niemand die Entscheidung über die Entsendung von der Frage trennen: Bedeutet dies den endgültigen Abschied von der alten Republik?: All
In der gestrigen Bundestagsdebatte über die Beteiligung der Bundeswehr am UNO-Einsatz in Bosnien wollte niemand die Entscheidung über die Entsendung von der Frage trennen: Bedeutet dies den endgültigen Abschied von der alten Republik?
Allen gemeinsam ist die Angst vor dem Desaster
Nur ganz kurz sei das Gedankenexperiment gestattet: Was, wenn statt des Außenministers gestern im Bundestag Joschka Fischer für den Regierungsbeschluß geworben hätte? Seine rhetorische Kraft und die Tragweite dieser Entscheidung – wie stark hätte Fischer die Argumente machen können?
Das Experiment ist zu Ende. Die Wirklichkeit an diesem historischen Tag im deutschen Parlament sah anders aus. Da trat als erster Klaus Kinkel ans Pult, der Bundeskanzler zog es vor, nicht zu sprechen. Und Joschka Fischer und Rudolf Scharping redeten dann nicht nur über Außenpolitik, über Bosnien und über Risiken. Sie redeten vor allem mit den Argumenten eines Teils ihrer eigenen, in der Bosnien-Frage gespaltenen, Parteien. Das war verwirrend, aber wahrscheinlich nicht falsch. Denn im Gegensatz zu den beiden Koalitionsfraktionen geht bei SPD und Bündnisgrünen der Riß, der die ganze deutsche Gesellschaft in der Bosnienfrage spaltet, quer durch die Fraktionen.
Aber die Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr im Bosnien-Krieg wollte niemand gestern von der ebenso wichtigen Frage trennen: Bedeutet dieser Tag den endgültigen Abschied von der Außenpolitik der alten Bundesrepublik? „Wir betreten politisches Neuland“, nannte Klaus Kinkel das. Für diesen Schritt gibt es viele gute Argumente – und viele dagegen. Sie sind in der Öffentlichkeit ausgetauscht worden, und im Bundestag wiederholten sie sich. Aber nach vier Stunden mußte dort entschieden werden.
Daß die Hilfe für die Menschen in Bosnien-Herzegowina mit dem außenpolitischen Interesse der Bundesrepublik übereinstimmt, war das stärkste Argument der Koalition. Ohne daß es so deutlich gesagt wurde, war klar: Nur aus moralischen Gründen würde niemals auch nur ein einziger ECR-Tornado nach Italien verlegt. Die Notwendigkeit einer Entsendung der Soldaten begründeten die Regierungsredner auch mit der Bündnisfähigkeit der Republik, die CDU- Fraktionschef Schäuble im Falle einer Verweigerung als gefährdet bezeichnete. Die Kritiker mußten diese Verbindung aufbrechen oder in beiden Teilen widerlegen.
Gegen die Aussicht auf Hilfe oder zumindest den Halt des gegenwärtigen, geringen Schutzes durch die Blauhelme setzte die Opposition das Eskalationsargument: die Tornados würden den Konflikt anheizen, statt zu seiner Begrenzung beizutragen. Wenn die Bundesregierung denn vor allem vom Wunsch nach Hilfe getrieben werde, so zweifelte Fischer, warum habe sie dann bislang kein „massiveres Angebot“ gemacht?
Das war einer von zwei Schwachpunkten der Regierungsargumentation, auf den die Opposition den Finger legen konnte. Belege für die bis vor wenigen Wochen wiederholten Versicherungen, in Ex-Jugoslawien hätten kämpfende deutsche Soldaten nichts zu suchen, fanden sich genug. Schäuble suchte dem durch den Verweis auf eine Zwangsläufigkeit in der Entwicklung zu begegnen: „Geändert haben sich die internationalen Ereignisse, nicht die innenpolitische Debatte.“ Den zweiten Schwachpunkt führte Joschka Fischer vor: „Ich finde es auch schlimm, wie nur diskutiert wird, wie kommen wir rein, und nicht, wie kommen wir wieder raus.“ Die „Eskalationsdynamik“ sei nicht zu kontrollieren.
Schäuble schien um die Abweichler in der SPD-Fraktion zu werben, die meisten Redner würdigten auch die Motive der Gegner. Verteidigungsminister Volker Rühe lobte gar einzelne Argumente Scharpings und erntete den Dank auch vieler Oppositionsredner für die bisher geleistete humanitäre Hilfe der Bundeswehr- Transportflieger. Nur CSU-Landesgruppenchef Michael Glos verweigerte dem Gegner den Respekt und löste Empörung aus mit seinem Vorwurf, die Sozialdemokraten verhielten sich mit ihrer mehrheitlichen Ablehnung „zynisch und menschenverachtend“. Da mußte dann nicht nur Norbert Gansel seine Kollegen von der SPD-Fraktion in Schutz nehmen, der selbst mit wenigen anderen für den Regierungsentwurf stimmte, aber sich von allen Tendenzen zu einer Renationalisierung oder neuen Machtpolitik distanzierte, die er bei der Rechten ausmachte.
Plakativ nutzte die PDS-Fraktion ihre Rolle als einzige Gruppe im Parlament, die geschlossen die Entsendung ablehnt: Die Abgeordneten erschienen in T-Shirts mit dem Aufdruck „Wir sagen NEIN“ und einem Grabkreuz mit darübergestülptem Helm. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth drohte mit Ausschluß, so daß die Abgeordneten zögerlich den Saal verließen und sich dann der T-Shirts entledigten. Was die Tornados in Bosnien auslösen würden, sei nichts anderes als „richtiger Krieg“, sagte Gregor Gysi.
Die SPD-Fraktion und die Grünen konnten es sich nicht so einfach machen. Daß Scharping erst seit wenigen Tagen in der Außenpolitik in einer Linie steht mit Oskar Lafontaine und Heidemarie Wieczorek-Zeul, machte es so schwer, seine Argumentation als eine dauerhafte anzusehen. Und auch Joschka Fischer war schon und wäre wohl noch bereit, gegen die noch pazifistische Mehrheit seiner Partei anzuerkennen, daß auch die Bundesrepublik im Notfall im Rahmen der UNO Militärs schicken müßte. Aber die Vorlage der Regierung, über die das Parlament entscheidet, und der Wille der Bündnisgrünen, bis auf ganz wenige Abweichler geschlossen abzustimmen, ließen Fischer gestern selbst als Vertreter einer pazifistischen Partei auftreten. „Diese Mär, daß Deutschland an Pazifismus leiden würde, ist eine Absurdität sondergleichen.“
Vielleicht war in dem gestern so oft wiederholten Vorwurf, die Regierung verlasse nun einen lange geltenden Konsens, auch das Elend der Opposition enthalten, das ihr noch nicht bewußt ist: Die Regierung geht in der Außenpolitik voran, die Opposition wird ihr folgen. Eins haben sie gemeinsam: die Hoffnung, daß der Ausflug nach Ex-Jugoslawien kein Desaster wird. Hans Monath, Bonn
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