: In der Schule der Schönheit
■ Individuelle Ästhetik der kühlen Härte: Helmet mit „Betty“ im Docks
Welche Metapher wählen? Maschinell-technisch, der Kolben im unbarmherzigen Auf und Ab, der nackte Motor, metallisch und Dynamik verheißend, die Schlagbohrmaschine, handlich und doch aggressiv? Oder doch organisch, ein Panther im Lauf (oder ein Kaninchen), eine Herzklappenoperation im Zeitraffer, der letzte Liebesakt vor dem Krieg?
Unschwer zu ersehen: Die Ästhetik dieser Band ist recht einmalig, jedenfalls zu unbefangen und unberührt von Klischees, um sie mit ebensolchen einzuzirkeln. Der vierköpfige Männerbund, der sich, vom Dorf und aus Australien kommend, in New York zusammenfand, begann seine Arbeit im Jahre 1985 mit hartkernigem, geräuschverliebtem Minimal-Rock, der zwar schon auf dem ersten Album kantige Brillanz durchschimmern ließ, im Grundton jedoch dem Noise-Trash des Labels Amphetamine Reptile verbunden blieb.
Der schnell folgende Wechsel zu einer großen, bunten Plattenfirma, unter Lachen, Weinen und Wundern vollzogen, war allen Unkenrufen zum Trotz schlüssig: Der Ansatz der Band wurde zusehends weltumgreifend, und nicht zuletzt durch die breite Konditionierung von Härte via MTV fiel auch Helmets Einstand im Konsumland verspätet glücklich aus.
Meantime, die Platte zur Zeit, die zunächst durch Kälte und relative Unmelodiösität abschreckte, verband in Folge umso stärker: Gerade ihre Rückzugsangebote, die offensichtlich individuelle, ästhetisch gehobene Urbanität, das unpathetische Mit- und Nebeneinander ergriff von Formeln und aggressiven Kinderspielplätzen Gelangweilte mit eben jener Emotionalität, die dem Tonträger auf den ersten Blick fehlte. Das Ohr mußte in die Schule gehen: zwischen den karthatischen Beats, mit denen in erster Linie nicht die Rhythmussektion, sondern die abgestoppten Gitarren zuschlugen, die Streicheleinheiten entdecken, teils dekodieren.
So wirkte die Schönheit der kargen Kompositionen zweifellos in Anlehnung an das Gefühl des Erhabenen: Begeisterung und Beängstigung oszillieren. Diese Schönheit hat nichts zu tun mit den zugemüllten Austausch-Liedern, wie sie vermeintlich verwandte New Yorker Gruppen erfolgreich verkaufen. Sie lebt, von sich selbst angenehm berührt, weitgehend autark.
Auf der letzten Tour, die Helmet zusammen mit Caspar Brötzmann bestritten, fand Page Hamilton, der Mann der nach New York kam um Jazz zu studieren, die Grenze seiner Reduktion - Brötzmanns virtuose Sprache traf die Emotionen direkter.
So haben Helmet, wie es der dieser Tage erscheinende neue Tonträger Betty eindrucksvoll belegt, ihre allumfassende Rhythmusarbeit gelungen erweitert. Gefühl muß nicht mehr zwischen Zeilen gesucht und erahnt werden, sondern bietet sich freundlich zurückhaltend aber unmittelbarer an. Populismus ist bei diesem Schritt lediglich ein Abfallprodukt.
Holger in't Veld
Docks, 4.7., 21 Uhr
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