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In der Höhle des zahnlosen Löwen

■ Vor den Mitarbeitern des Bundesgesundheitsamts verteidigt Minister Seehofer seinen harten Kurs und siegt nach Punkten / Nur die BGA-Frauen fanden den Mut zur Kritik am ungeliebten Gast aus Bonn

Berlin (taz) – Frage: Was ist der Unterschied zwischen dem Bundesgesundheitsamt und einem mittelständischen Zulieferbetrieb der Autoindustrie? Antwort: Es gibt keinen! Zumindest Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) vermag den Unterschied zwischen der wichtigsten Gesundheits- und Umweltbehörde Europas und einem Felgenlieferanten aus Hinterholzhausen nicht recht zu erkennen. Gleich zweimal verglich er am Mittwoch vor versammelter Belegschaft des BGA, was nicht zu vergleichen ist. Die Neuorganisation der Behörde, verriet der Minister in dem nichtöffentlichen Rencontre, sei im Grunde eine „läppische“ Maßnahme. Wenn sich der Mittelständler bei der Umstrukturierung seines Betriebes ähnlich anstellen würde wie jetzt das BGA, „wär' der längst pleite“. Wer erwartet hätte, daß solche Chuzpe im ICC-Rund Empörung provozieren würde, sah sich enttäuscht. Der Minister hatte leichtes Spiel. Bis auf zwei Frauen und einen ÖTV-Funktionär hatte niemand die Traute, die im BGA kursierende scharfe Kritik an den Mann zu bringen.

Fünf Monate nach Beginn des Blut-Aids-Skandals stellte sich Seehofer das erste Mal der BGA- Belegschaft. Ungeachtet dieser Gesprächsverweigerung wurde ihm gleich sechsmal für sein Kommen freundlich gedankt. Der Minister war zunächst auf eine eher feindselige Atmosphäre gefaßt: „Die Freude über mein Kommen dürfte sich in Grenzen halten“, sagte er eingangs. Doch bis auf einzelne Zwischenrufe und den kräftigen Applaus beim Hinweis eines Diskutanten auf die bis zur Bundestagswahl begrenzte Amtszeit Seehofers blieb alles gesittet.

Geschickt verstand es der Minister, seinen harten Kurs gegenüber dem BGA zu verteidigen. Es gehe schließlich um Aids, also um unsägliches Leid vieler unschuldiger Menschen. Er habe handeln müssen, um zu verhindern, daß sich die medizinische Katastrophe zu Beginn der 80er Jahre wiederhole. Zugleich zeigte sich Seehofer versöhnlich. Die übergroße Mehrheit der Berliner Gesundheitsbeamten verrichte gute Arbeit, verteilte er Zuckerbrot. Er habe sich stets vor das BGA gestellt und seine Kritik nur an das Arzneimittel-Institut, das Aids-Zentrum und die Präsidialebene gerichtet.

In Nebensätzen machte Seehofer aber deutlich, daß er notfalls einen härteren Kurs einschlagen werde, falls die Berliner Renitenz anhalte. Bisher, so die unverhüllte Drohung, müsse lediglich das Arzneimittel-Institut nach Bonn umziehen, die anderen Einrichtungen blieben in Berlin. Bisher habe er dem Druck einer weitergehenden Verlagerung standgehalten. Bisher! Seehofer machte klar, daß er notfalls die Neuorganisation des BGA per Verwaltungsvollzug durchziehen werde. Das jetzt eingeleitete Gesetzgebungsverfahren sei juristisch nicht der einzige Weg. Die BGA-Auflösung sei jedenfalls sein ganz persönliches Anliegen, „das weiß auch der Kanzler“.

Der von seinem Ministerium verordnete Maulkorberlaß für die BGA-Beamten wurden von Seehofer rundweg bestritten: „Es gab und gibt keinen Maulkorberlaß, Sie können reden, mit wem Sie wollen.“ Auch der Hinweis einer Beamtin, daß der Erlaß bei ihr über dem Schreibtisch hänge, beeindruckte den Minister wenig. Zumindest an dieser Stelle mußte er sich sagen lassen, daß er offenbar nicht wisse, was von seinem eigenen Haus angeordnet werde.

In heftigem Ton wies Seehofer die Forderung nach dem Blick über den Tellerrand zurück. Wiederholt hatten Kritiker vorgeschlagen, sich bei der BGA-Reform an ausländischen Vorbildern, vor allem an der angesehenen amerikanischen Food & Drug Administration, zu orientieren. Und wieder flüchtete der Minister zu seinem mittelständischen Autozulieferer, der auch nicht ins Ausland gehe, bevor er seinen Betrieb auf Vordermann bringe. „Wir können doch auch mal was selber machen.“ Auch diesen Satz ließ man ihm durchgehen.

Um den Vorwurf des Hineinregierens ins BGA zu entkräften, kündigte Seehofer die Schaffung eines wissenschaftlichen Beirats an, der die Forschungsaufgaben festlegen solle. Forschung, dies müßten die BGA-Beamten wissen, könne zudem nicht von oben befohlen werden: „Es gibt keine Forschung auf Weisung.“

Daß der Widerspruch dann doch noch kam, war den Frauen des Arzneimittel-Instituts zu verdanken, die „Maulkorberlaß“, „Kadavergehorsam“ und das „Ausnutzen existentieller Ängste beim Thema Aids und Blut zur Zerschlagung einer Behörde“ beim Namen nannten.

Das letzte Wort hatte der Minister: Ob er sich entschuldigen werde, falls der Untersuchungsausschuß die Vorwürfe gegen das BGA nicht bestätigen könne? Dazu bestehe kein Anlaß, antwortete der Bonner Gast, die Auflösung des BGA sei ohnehin überfällig gewesen. -man-

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