: In der DDR-CDU kippt die Stimmung für die Einheit vor den Wahlen
■ Koalitionsausschuß am Mittwoch Abend zu einer Sondersitzung zusammengerufen
Berlin (dpa) - Die heftige Beitritts- und Wahldiskussion in der DDR, die angesichts der drängenden Versorgungsprobleme von vielen DDR-Bürgern nur am Rande wahrgenommen wird, hat nun auch in der CDU-Fraktion zu Meinungsverschiedenheiten geführt. Etliche Abgeordnete und sogar der Fraktions-Vize Udo Kamm sind ihrem Ministerpräsidenten vorausgeeilt und liebäugeln mit einem Beitritt schon am 1. Dezember. Gerüchte, de Maiziere habe mit seinem Rücktritt gegen diese Tendenzen in siner Fraktion gedroht, konnten nicht bestätigt werden.
Der Antrag der Liberalen für den Beitritt einen Tag vor dem Termin für gesamtdeutsche Wahlen würde bei einer Zustimmung durch die Volkskammer die bisherigen Pläne von West- und Ost -CDU über den Haufen werfen. Denn die Christdemokraten plädieren - im Gegensatz zur SPD und den Liberalen - seit Wochen für getrennte Wahlgebiete und für einen Beitritt der DDR erst nach der Wahl.
Als de Maiziere am Dienstag abend aus der Fraktionssitzung kam, blieb er einsilbig und medienscheu. Er beantworte jetzt keine Fragen, sagte er den wartenden Journalisten, die wußten, daß der Premier auch angesichts der Agrar-Probleme stressige und schwierige Stunden hinter sich hatte.
Eine Art Kampfabstimmung über den Beitrittstermin und damit auch das Wahlverfahren - denn wenn die DDR bereits beigetreten ist, wird gemeinsam nach bundesdeutschem Recht gewählt - wird am kommenden Sonntag in der Volkskammer nicht ausgeschlossen. Dies könnte dann aber zu großem Ärger in der Koalition und zur Krise führen.
Zwar hat de Maiziere die „Euphorie gebremst“, die etliche CDU-Abgeordnete nach den positiven Moskauer Ergebnissen befiel und zu einem schnelleren Beitritt beflügelte, meint ein Fraktionsmitglied. Der 1. Dezember als Beitrittstermin gilt aber bei vielen in der CDU nicht mehr als ausgeschlossen, falls die Verantwortung der DDR-Regierung möglichst bis zur Konstituierung des gesamtdeutschen Parlaments sichergestellt wird. Und dazu ist die SPD bereit.
Viele Politiker wünschen, daß der Antrag der Liberalen an den Ausschuß für Deutsche Einheit überwiesen wird, in dem alle Koalitionsvertreter sitzen. Und dieses Gremium, so die Hoffnung bei den Parteien, müßte in knapp drei Tagen eine Lösung erarbeiten, die dann doch breite Zustimmung finden könnte. Am Mittwoch abend wurde überraschend der Koalitionsausschuß einberufen, um die Entscheidung in der Beitrittsfrage nicht länger hinauszuschieben.
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