In der Computerkirche

■ Eine SFB-Hörfunkreihe zur „schönen, neuen Computerwelt“

(„Schöne, neue Computerwelt (1): Allwissen und Absturz. Von der Computertheologie der modernen Universalbibliothek, SFB 3, 2300 - 2400) Der neue Gott heißt Computer, seine Altäre stehen in Rechenzentren und im Hausaltarformat in postmodernen Wohnstuben. Daß er nur ein High-Tech-Wesen sei, gehört zu den kleinen Mißverständnissen des Alltags; Computer haben mehr als „theologische Mucken“, und der Erbauer des ersten Rechners, Konrad Zuse, stellte als ein Kirchenvater den Kosmos als „gigantische Rechenmaschine“ vor. Die Offenbarungssprache ist der binäre Code 0/1, und der neue Gott nimmt die babylonische Sprachverwirrung seines Konkurrenten aus dem Alten Testament zurück, weil noch der kleinste Gedankenschnipsel dieser und aller möglichen Welten sich im basic code ausdrücken und speichern läßt, um in den universellen Informationsfluß geworfen und im Informationsweltmeer aufbewahrt zu werden.

Der neue Gott Computer ist mitten unter uns, aber nur selten wird's bemerkt. Eine dreiteilige Sendereihe des SFB zur Computertheologie, Computerästhetik und Computersprache schlägt Denkschneisen in die neue Selbstverständlichkeit. Alle schwimmen längst im universellen Informationsfluß mit, und wer's nicht kann, der muß untergehen. Denn die Welt, auf die Datenbanken getragen, wird zum Bildschirmereignis; ohne Bildschirm vor Augen wird der Blick in die Welt immer blinder; die Computer formulieren die alte Utopie des Allwissens nicht nur neu, sondern holen sie langsam ein: Die Bibliothek von Alexandria, der die hellenistische Welt der beiden vorchristlichen Jahrhunderte umfassende Wissensspeicher aus etwa 700.000 Rollen, beginnt am Ende des 20. Jahrhunderts wiederzukehren in der immateriellen, von schwerfälligen Buchleibern und Wissensträgern emanzipierten Gestalt reibungsloser Informationsflüsse. Während im Auftrag der UNESCO Archäologen die alexandrinische Bibliothek auszugraben beginnen, werden in Paris, London und Chicago Universaldatenbanken dieser Zeit geplant. Sprachgrenzen sind aufgehoben, die High-Tech-Religion ist international. Nur Grenzen des Zugriffs sind gezogen, denn die Datenbanken sind kommerziell und exkluxiv: Wer Zugang zur neuen Kirche finden will, muß dem Gott opfern. Nur die Hacker, Häretiker der neuen Computerkirche, dringen durch Nebeneingänge ins Allerheiligste und spielen die Vorreiterrolle grenzenloser Universalisierung.

Der Mythos der Universalbibliothek umschließt das Menetekel des großen Feuers, die Computerkirche hat ihre Eschatologie: die Apokalypse des Absturzes, wenn die Programmsysteme sich gegen Zugriffe von außen abzuriegeln beginnen, das informationsverlangende Tier 'Mensch‘ ausschließen und völlig in sich gehen, um den Ausnahmezustand beherrschen zu können, sei es auch , daß sie sich gegen Computerviren schließlich selbst zerstören. Die Computerkirche ist eine strenge Hierarchie; wer das pass-word nicht kennt, bleibt Heide, wer es aber findet, kann zum Ketzer werden, der die Hierarchie stürzt, indem er sein eigenes pass-word einsetzt, die vorige Kirchenverwaltung vertreibt und sich selbst zum systemverwaltenden Papst macht.

Bei ihrer Erkundung der Computertheologie haben Peter Bexte und Werner Künzel entdeckt, daß in digitalisierten Allwissenssystemen der Absturz programmiert ist. Der Alptraum eines Rabbis, die Thora könne sich in ihre sechshunderttausend Schriftzeichen auflösen, über denen der heilige Geist wie über dem Chaos am Schöpfungsbeginn schwebt, gilt auch für die Computerkirche. Sollte der große Absturz ausbleiben, bleibt aber immer noch die letzte Schwelle zwischen Rechner und Mensch: Der ideale Leser der digitalen Universalbibliothek ist der Rechner selbst. Menschliche Benutzer brauchen noch Zwischensprachen zur Kommunikation mit ihr; nur „im Schweigen der Silicon -Kristalle... ist die Universalsprache bereits Realität“. Auch in der Computerkirche plaudert der neue Gott am besten mit sich selbst.

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