In den Fluren von „Radio Vatikan“: Wojtylas langer Schatten
Kalt, konservativ und sehr deutsch, so sah man Papst Benedikt in Italien. Die Redakteure von „Radio Vatikan“ hatten lieber Johannes Paul II. an der Wand hängen.
Manchmal war es schon merkwürdig, in den gediegenen Redaktionsfluren von Radio Vatikan: Ich fühlte mich wie aus der Zeit gefallen – aber nicht, weil ich in der modernen Medienzentrale einer 2.000 Jahre alten, globalen Institution wandelte; sondern weil derjenige, der als absoluter Herrscher von Kirche und Staat hier doch hätte präsent sein müssen, kaum eine Rolle spielte.
Auf jedem Schreibtisch, an jeder Wand der polyglotten Redaktionen, bei denen ich im Herbst 2011 mitarbeiten durfte, stand und hing nicht das Bild des amtierenden Pontifex, sondern das seines Vorgängers Karol Wojtyla.
Ihn liebten die Italiener heiß – und das hatte nichts mit vermeintlich fortschrittlicheren Antworten auf all jene brennenden Fragen zu tun, welche die Gesellschaft dem politbürokratischen Katholizismus stellt.
Wojtyla war ein mindestens ebenso ultrakonservativer Knochen wie Ratzinger. Aber Wojtyla litt. Wojtyla lachte. Und man muss es sagen: Wojtyla war nicht in der Hitlerjugend, im Gegenteil – er hatte im besetzten Polen sehr konkrete Erfahrungen im Widerstand gegen die Nazis gemacht. Außerdem hatte er praktisch allein den Kommunismus besiegt. Für all das liebten ihn die Italiener.
Schlechtes Italienisch
Aber es waren nicht nur menschliche Kälte und professorale Verschrobenheit, die Benedikt so unbeliebt machten; und es lag auch auch nicht ausschließlich an seinem auf viele Italiener provokant schlecht wirkenden Italienisch – nach mehr als drei Jahrzehnten in Rom! Benedikt ist ja durchaus zur Herzlichkeit fähig, vor allem dann, wenn seine geliebten Bayern zu Besuch kamen. Schon als Erzbischof von München Freising war er der warmherzige Vertraute von Franz Josef Strauß und seiner Amigo-Clique gewesen.
Nein, Ratzinger – wie ihn italienische Medien zunehmend respektlos nannten – war eine Provokation für alle jene, die durch ihre Arbeit in kirchlichen Einrichtungen und Laienvereinigungen wesentlich dazu beigetragen haben, dass Migranten, Arme und Obdachlose noch eine Stimme in der italienischen Gesellschaft unter dem Berlusconi-Regime hatten. Es gibt zwischen Bozen und Palermo einen lebendigen, linken Katholizismus, der die Lehren Franz von Assisis nicht vergessen hat, der gegen soziale Ausgrenzung, Rassismus und gegen das organisierte Verbrechen kämpft.
Alle sind erleichtert
All jenen, die Kirche bei den und für die Menschen sind, die Probleme benennen, anstatt sie zu vertuschen, die nicht in Angst und Abscheu vor der modernen Gesellschaft erstarren, sondern Jesus Christus genau dort, zwischen Sündern, Kranken und Erniedrigten, verorten – alle jenen hatte dieser „teutonische Papst“ nichts zu sagen.
Und da hilft es auch nicht viel, dass italienische Vatikanisten in seinem Rücktritt aus Gesundheitsgründen nun ein fortschrittliches Zeichen für die katholische Kirche erkennen wollen: Alle sind schlicht erleichtert und kleiden das in mehr oder weniger höfliche Worte.
Am 27. Januar dieses Jahres, beim Angelusgebet auf dem Petersplatz, hat Benedikt versucht, zwei weiße Tauben fliegen zu lassen. Doch einer jener frechen römischen Albatrosse verängstigte die Vöglein so sehr, dass sie verzweifelt versuchten, sich in den Nischen des vatikanischen Mauerwerks zu verkriechen. Nimmt man das als Bild für seine Amtszeit, so hat Joseph Ratzinger das Vermächtnis seines Vorgängers Karol Wojtyla nicht erfüllt: „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben