: In Wirklichkeit: nicht
■ Zum letzten Mal im Concordia: „Konzert im Ei“ von N. Hause, Regie C. Werners
Es beginnt irgendwo auf dieser Erde, mit Musik, die klingt nach New York und fernen Welten. In einer Straße vielleicht, die ist nur weiß und könnte überall sein. Auf sie treten Menschen aus Türen, die nicht wissen, wer sie sind und wie sie heißen. Sie gehen an das Ende der Welt, legen den Kopf in den Sand, um in die Sterne zu sehen. Um zu erzählen von sich, von Träumen und Hoffnung. Sie denken und streiten sich, sie fühlen und schlafen miteinander, und doch gibt es sie nicht. Es ist nicht diese Erde, die sie sehen, denn der Blick hinter das Ende ihrer Welt ist ihnen verwehrt. Und hinter ihrer Welt liegt unsere, sie existieren nur im Computer. Ihr Leben ist ein sich wiederholendes Programm, in das der Zufall ein wenig Veränderung bringt. Sie wissen darum und wehren sich nicht, sind unsterblich wie Comic-Figuren und altern nicht, hassen und lieben sich und sind vollkommen sinnlos.
Im Stück „Konzert im Ei, von den stillen Freuden finnischer Musik. Rondo.“ von Nicholas Hause leben die Figuren in einer „Welt am Draht“. Die SchauspielerInnen aus dem Jugendclub des Bremer Theaters spielen auf der Bühne Becketts und führen seine knappen Dialoge, haben die Sorgen künstlicher Intelligenzen, wie sie Stanislaw Lem in seinen Büchern schuf. Vieles erinnert zu deutlich an die Autoren, die Pate standen, vor allem Becketts gegensätzliche und sich brauchende Figuren von Sklave und Herr, von Schöpfer und Produkt. Im „Konzert im Ei“ entstand ein Paar wie Oliver Hardy und Stan Laurel, mit neuzeitlichem Geist ausgestattet. In absurden Dialogen ließen sie so viel lachen, daß die Wirklichkeit leicht in Vergessenheit geriet. Die Wirklichkeit ist, daß es beide nicht gab und nicht gibt, ihre Existenz hat keine Entsprechung in der Wirklichkeit. Ihr Sinn liegt in einer Zukunft, die eintreten mag oder auch nicht.
Doch wenn es eines Tages Wesen aus elektronischen Schaltungen geben wird und der Mensch mit ihnen spielt, wird es unheimlich sein, sollten sie sich so wirklichkeitsgetreu verhalten wie die Schauspieler im Concordia unter der Regie Carsten Werners. Über- und Untertreibungen hier und dort erschienen wie jene unvermeidlichen Fehler im Programm, die darin erinnerten, daß die Welt auf der Bühne nicht Wirklichkeit sein soll. Denn fürchterlich echt war die Sehnsucht der künstlichen Figuren, und furchtbar der Zynismus, der sie daran erinnerte, daß alle ihre Begehren nur lächerlich sind, ein Fleck auf dem Bildschirm, der dem unsichtbaren Beobachter Zerstreuung verschafft.
Wenn der Mensch künstliche Welten oft wirklicher nimmt als seine eigene, und sei es nur für Augenblicke, hat Nicholas Hause einen Weg gefunden, dies auch im Zuschauer geschehen zu lassen. Daß aber ein Theaterstück in sich aber auch nichts anderes ist als
eine Vision, eine gesteuerte Welt in der wirklichen, mit Anfang und Ende, kam nicht zum Vorschein. Die Handlung erzählt keine Geschichte, nimmt nicht an die Hand, und so endet alles wieder irgendwo auf dieser Erde, mit Musik, die klingt nach New York und fernen Welten, in einer Straße vielleicht, die ist weiß und könnte überall von vorne anfangen, bereit zu unendlicher Wiederholung. Und vielleicht, vielleicht wird das Stück ja auch bald wieder aufgeführt. roth
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