piwik no script img

In Tunis heißt es: Koffer packen

Die PLO will ihr Hauptquartier nach Jericho verlegen / Der bürokratische Apparat wird dafür gründlich umstrukturiert / Arafat sucht einen Kompromiß mit den Islamisten von Hamas  ■ Aus Tunis Khalil Abied

Im PLO-Hauptquartier in Tunis herrscht Aufbruchstimmung. Das in Oslo zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation und der Regierung Israels ausgehandelte Abkommen über eine Teilautonomie der Palästinenser im Gaza-Streifen und in Jericho hat Unruhe in das Leben der rund 1.200 Mitarbeiter gebracht. Nach elf Jahren im tunesischen Exil heißt es nun für viele der Mitarbeiter, wieder Koffer zu packen: Geht es nach dem Willen Arafats, werden die meisten PLO-Funktionäre und -Angestellten in den nächsten Monaten nach Jericho und in den Gaza-Streifen übersiedeln. Nur die „Politische Abteilung“, die als „Außenministerium“ der PLO agiert, wird entweder in Tunis bleiben oder nach Kairo oder Amman überwechseln. Denn laut dem Abkommen mit Israel dürfen die Palästinenser in Rahmen der Teilautonomie keine Außenpolitik betreiben. Die israelische Regierung will auch weiterhin die internationalen Kontakte in den Gaza-Streifen und nach Jericho kontrollieren. Dennoch betont die PLO-Führung, daß die internationalen Vertretungen der Organisation in Zukunft als „Botschaften“ der autonomen Gebiete fungieren werden.

Nachdem israelische Truppen die PLO-Führung im Jahr 1982 aus Beirut vertrieben hatte, wurde die neue Zentrale in Tunis eingerichtet. Viele der PLO-Funktionäre empfanden Tunesien als dritten Verbannungsort nach Jordanien und dem Libanon. Jetzt schmieden sie Pläne für die Rückkehr in die palästinensische Heimat. Einige der Exilabteilungen der PLO wurden bereits aufgelöst, andere müssen entsprechend den neuen Verhältnissen umstrukturiert werden. „Institutionen, die für eine Revolution geschaffen wurden, müssen jetzt den Erfordernissen eines Staates angepaßt werden“, erklärt ein hochrangiger Funktionär, der nicht beim Namen genannt werden will. Arafat löste in der vergangenen Woche den obersten Militärrat auf. Das Gremium, das bisher für den militärischen Flügel der PLO, die „Palästinensische Befreiungsarmee“ (PLA) verantwortlich war, wurde durch zwei neue Abteilungen ersetzt. Die erste „Abteilung für öffentliche Sicherheit“ soll die Aktivitäten der in Polizisten umgewandelten PLA-Soldaten koordinieren. Die zweite trägt den vieldeutigen Namen „Abteilung für Nachrichtendienst“. Für die weiteren Kontakte mit den Israelis wurden vier Komitees eingerichtet. Sie sollen über Fragen der Sicherheit und die Stationierung palästinensischer Polizeieinheiten verhandeln, die Übergabe der Befugnisse von israelischen auf palästinensische Institutionen regeln, die neun Monate nach Inkrafttreten des Abkommens anstehenden Wahlen zu einer palästinensischen Lokalverwaltung organisieren und die Rückkehr von Flüchtlingen aus den besetzten Gebieten durchsetzen.

„Gott möge uns helfen“, seufzt ein Mitglied der palästinensischen Verhandlungsdelegation in Washington angesichts der noch bevorstehehenden Gespräche mit den Israelis. „Gegen das, was uns jetzt erwartet, waren die Verhandlungen der letzten zwei Jahre ein Witz.“ Das wichtigste Thema der künftigen israelisch-palästinensischen Gespräche wird die wirtschaftliche Kooperation sein. Nach fast 27 Jahren der Okkupation durch Israel sind die Westbank und der Gaza-Streifen stark von der Besatzungsmacht abhängig. Strom- und Wasserversorgung sind unter israelischer Kontrolle und Zehntausende Palästinenser aus den besetzten Gebieten arbeiten in Israel. Unter den Institutionen, die die PLO für den Wiederaufbau gründen will, steht an oberster Stelle eine eigene Bank.

Die nächste Hürde vor der Realisierung des Gaza-Jericho-Abkommens ist allerdings eine PLO- interne. Denn formal sind die geschlossenen Abkommen von der Organisation noch gar nicht abgesegnet. Entweder der als „Exilparlament“ geltende Palästinensische Nationalrat oder der Zentralrat der PLO müssen über die Vereinbarungen entscheiden. Da eine Mehrheit für Arafats Politik innerhalb des rund 600 Delegierte zählenden Nationalrats unwahrscheinlich ist, will der PLO-Chef das Gaza-Jericho-Abkommen durch den Zentralrat absegnen lassen. Das etwa 100köpfige Gremium hat ähnliche Vollmachten wie der Nationalrat. Um seine Mehrheit zu sichern, rief Arafat in den letzten Wochen die palästinensische Opposition mehrmals zum Dialog auf. Seine Appelle trafen aber vor allem bei den innerhalb der PLO organisierten Ablehnungskräften auf taube Ohren. Die „Demokratische Front zur Befreiung Palästinas“ (DFLP) rief am Wochenende dazu auf, die Intifada, den Aufstand in den besetzten Gebieten, weiterzuführen. Am 30. September wollen die zehn in Damaskus residierenden Palästinenserorganisationen, die das Abkommen ablehnen, ihre weitere Vorgehensweise koordinieren.

Besonderes Augenmerk richtet Arafat auf einen möglichen Kompromiß mit der Hamas-Bewegung. Die islamistische Gruppierung gehört nicht zur PLO, hat aber in den besetzten Gebieten starken Rückhalt. Offiziell lehnt sie jeden Kompromiß mit Israel ab. Einzelne Hamas-Vertreter erwägen jedoch, für die geplanten Lokalwahlen im Gaza-Streifen und in Jericho Hamas- Kandidaten aufzustellen. Der Hamas-Vertreter in Jordanien, Muhammad Nasal, stimmte am Wochenende einem geplanten Treffen zwischen seiner Organsisation und der PLO im Jemen zu, vorausgesetzt, weder Arafat noch Mahmud Abbas würden daran teilnehmen. Letzterer hatte in Washington das Abkommen mit den Israelis für die PLO unterzeichnet. Ein anderer Hamas-Sprecher in Jordanien, Ibrahim Ghoscheh, rief wenig später alle Gegner Arafats auf, einen „Gegenvorstand“ zur PLO-Spitze zu gründen.

Bereits Mitte September hatte sich Arafat in Ägypten mit Vertretern der dortigen Muslim-Brüder und der mit ihnen koalierenden „Partei der Arbeit“ getroffen. Die beiden als gemäßigt-islamistisch gelten Gruppen sollten zwischen der PLO und Hamas vermitteln. Nach Angaben aus hochrangigen PLO-Kreisen schaltete sich auch die Regierung Sudans als Vermittler ein. Demnach traf sich Arafat vor drei Wochen mit dem Führer der Islamischen Nationalen Front Sudans, Hassan Turabi, der gute Kontakte zu Hamas besitzt. Turabi soll Arafat gegenüber seine Unterstützung für das Abkommen mit Israel bekräftigt und ihm empfohlen haben, die Bemühungen um einen Dialog mit Hamas nicht aufzugeben. In der vergangenen Woche reiste auch eine Hamas-Delgation nach Khartoum. Aus führenden PLO-Kreisen heißt es dazu, man habe aus der sudanesischen Hauptstadt von „positiven Ergebnissen“ erfahren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen