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■ In Tschetschenien entscheidet sich die gemeinsame ZukunftDie Demokraten nicht allein lassen!

Militärisch mögen die Falken in Moskau Tschetschenien ins Reich zurückbomben. Politisch haben sie verloren. Boris Jelzin hat sich mit den Schüssen in Grosny sein Waterloo selbst bereitet. Rußlands Demokraten hat er endgültig gegen sich aufgebracht. Und alle nichtrussischen Nationalitäten muß panische Angst vor der „Gleichbehandlung“ erfüllen. Die kriegerische Intervention soll die ethnischen Autonomiebestrebungen innerhalb der russischen Grenzen abschrecken. Zugleich wird mit ihr die neue Militärdoktrin exekutiert, die die Großmachtrolle Moskaus gegenüber dem „nahen Ausland“ befestigen will.

Aber der Krieg wendet sich gegen die Kriegführenden selbst. Die großrussischen Ambitionen der Moskauer Falken werden mit dem tschetschenischen Desaster eher gedemütigt denn befriedigt. Dudajews autoritäres Regime mußte herhalten, um das imperiale Kräftespektrum an den Präsidenten zu binden. Der Preis für dieses Abenteuer – mehrere tausend Tote, unerfahrene Soldaten und unschuldige Zivilisten – weckt Erinnerungen an die Zeit von Stalins ethnischen Säuberungen. In Grosny läßt Boris Jelzin Militärs schießen, die morgen Freiheit und Demokratie in Rußland gefährden können.

Rußlands Demokraten wehren sich mit aller Kraft gegen den Versuch, ihr Land zurückzubomben in einen von Militärs dominierten Autoritarismus. Im tschetschenischen Amoklauf steckt aber auch ein Kern der Hoffnung. Die erdrückende Mehrheit der Russen sagt Nein, mutig unterstützt von Journalisten. Die unabhängigen Menschenrechtsgruppen von „Memorial“ über die Soldatenmütter bis zur „Helsinkibürgerversammlung“ arbeiten enger zusammen als je. Liberale und Demokraten organisieren sich neu innerhalb und außerhalb der Duma. Die Mehrheit der Fraktionsvorsitzenden haben sich gegen den Krieg ausgesprochen. Die Entwicklung der russischen Demokratie wird auf eine existentielle Probe gestellt. Aufgabe der demokratischen Bewegungen und Parteien im europäischen Westen ist es, ihre Partner in Rußland jetzt nicht allein zu lassen. In ihrem Kampf für Freiheit und Demokratie entscheidet sich unsere gemeinsame Zukunft. Gert Weisskirchen

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