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In Tokio tagen seit gestern die Teilnehmer der Weltenergiekonferenz (WEC). Die internationale Energiewirtschaft schickt sich an, den letzten ihr bislang verschlossenen Kontinent zu erobern. Wen es in der Branche nicht nach Ostasien zieht, muß nicht ganz richtig in der Birne sein. China oder Indonesien sind die Auftraggeber von morgen Aus Tokio Georg Blume und Mycle Schneider

Ein Kontinent wartet auf Erleuchtung

Ein vielstimmiges Orchester, geführt vom hohlen Klang der japanischen „Taiko“-Trommel, stimmte gestern die knapp 5.000 Teilnehmer der Auftaktveranstaltung der 16. Weltenergiekonferenz (WEC) in Tokio auf das Zeitalter der Globalisierung ein. Denn so harmonisch wie sich die traditionelle Taiko-Trommel dem Klang eines westlichen Symphonieorchesters anpaßte, so harmonisch sollen nach den Vorstellungen von Gerhard Ott, dem deutschen Vorsitzenden der WEC-Vollversammlung, die unterschiedlichen Formen der Energiegewinnung in Zukunft weltweit zusammenwirken. Jede „Ideologisierung“ der Energiepolitik durch Parolen wie „Atomkraft – nein danke“ sei verfehlt, sagte Ott in seiner Eröffnungsrede. Statt dessen bedürfe es „eines ausgeglichenen Ansatzes für die unterschiedlichen Formen der Energie, die unterschiedlichen Anwendungsbereiche und die unterschiedlichen Regionen der Erde“.

Mit anderen Worten: Es gibt keine Konkurrenz, weder zwischen unterschiedlichen Energieträgern wie Kohle oder Atom, noch zwischen unterschiedlichen Konzepten wie etwa einer Angebots- oder Nachfrageorientierung im Energiesektor. Nur im Nebeneinander aller Möglichkeiten der Energiepolitik könne der Globus der drohenden Energieknappheit entkommen. Tatsächlich lautet so das politische Kredo der Weltenergiekonferenz seit ihrer Gründung im Jahr 1924 (s. Kasten). Und das liegt in der Logik einer der weltweit mächtigsten Industriebranchen begründet, in der keiner dem anderen das Geschäft verderben will. So weit ging schon früh die Toleranz der Konzernmächtigen im Energiesektor, daß sie die einst staatlich dirigierte Energiepolitik der Ostblockstaaten durch Konferenzen in Moskau und Bukarest in den sechziger und siebziger Jahren für richtig befanden.

In dieser Tradition der engen Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat schickt sich die internationale Energiewirtschaft nun an, den letzten ihr bislang verschlossen gebliebenen Kontinent zu erobern: Ostasien, dessen Länder dem Staat nach wie vor eine große Rolle in der Wirtschaftspolitik beimessen. Vor allem die Elefanten China und Indonesien, die Platz eins und fünf auf der Liste der bevölkerungsreichsten Länder einnehmen, interessieren heute westliche Energiekonzerne als die Auftraggeber von morgen. Aber auch die südostasiatischen Tigerstaaten von Südkorea bis Singapur bieten attraktive Investitionsmöglichkeiten. Insofern entsprach es dem dringenden Bedürfnis der in der Region boomenden Branche, erstmals eine Weltenergiekonferenz in Ostasien abzuhalten. Die japanische Energiewirtschaft war so nett, für diesen Anlaß die Hälfte der Kongreßkosten zu tragen.

Atom: Eine totgesagte Branche hat Zukunft

Wen es in der Energiebranche nicht nach Asien zieht, muß auf den Kopf gefallen sein. Die Region muß in den nächsten zehn Jahren monatlich 2.000 Megawatt an zusätzlicher Stromproduktionskapazität aufbauen, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden; das entspräche im Atombereich 25 neuen Reaktoren pro Jahr. So benötigt die Region zwischen Seoul und Singapur jährlich 35 Milliarden Dollar an Neuinvestitionen im Energiebereich für die kommenden zehn Jahre – und dieses Geld kann sie aus eigener Kraft nicht aufbringen.

Vor allem Privatinvestoren wie der deutsche Energieanlagenbauer Siemens oder der französische Atomkraftwerkbauer Framatome werden deshalb von den Regierungen Ostasiens gerufen, damit der Zuwachs des Energieoutputs mit dem Wachstum der Volkswirtschaften Schritt hält, das bis in Jahr 2005 auf durchschnittlich sieben Prozent geschätzt wird. Schon engagiert sich deshalb Siemens beim Bau eines der größten Kohlekraftwerke des Kontinents in Indonesien. Das Projekt, bei dem auch andere Firmen beteiligt sind, umfaßt ein Auftragsvolumen von 1,2 Milliarden Dollar. Für eine noch viel größere Summe baute Framatome unweit von Hongkong die ersten Atomreaktoren Chinas.

In diesem Tempo – und noch viel schneller – muß es weitergehen, wenn beispielsweise die boomenden Industrien rings um Schanghai nicht aufgrund von Stromausfall ihre Wachstumsziele reduzieren sollen. Allein in China könnte sich die Stromnachfrage bis ins Jahr 2010 verfünffachen – ein Alptraum für Ökologen, die wissen, daß die Energieausbeute in chinesischen Kohlekraftwerken heute durchschnittlich bei 20 Prozent liegt; mit neuesten Techniken ist eine Ausbeute von 55 Prozent möglich. Doch bis der Westen solche Technologien gratis an China liefert, müssen die Kohlendioxidemissionen wohl weltweit noch kräftig steigen.

Tatsächlich sind sich heute die wenigsten Regierungen – und BürgerInnen – im Westen bewußt, daß sich die Zukunft der Weltenergiepolitik nicht mehr an den für sie symbolisch bedeutsamen Projekten wie Gorleben entscheidet, sondern von der weiteren Entwicklung in Asien vorgegeben sein wird. Entscheidend ist deshalb die Frage, ob Länder wie China und Indonesien eine eigene Atomstromwirtschaft aufbauen. Einer schon totgesagten Branche wäre damit eine Zukunft gewiß.

Entscheidend wird weiterhin sein, ob die Länder dieser Region in Zukunft eine reine Angebotspolitik verfolgen, die nur auf das Anwachsen der Produktion setzt, oder ob sie auch auf Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Senkung des Energieverbrauchs setzen. So schlecht vertreten, wie es die Länder des Westens auf der Weltenergiekonferenz in Tokio sind, werden über diese Fragen die Asiaten wohl allein entscheiden.

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