piwik no script img

In Rumänien flogen wir nachts aus der Wohnung. In Deutschland explodierte das WohnzimmerAlles Gute zum Coming Out Day

Herbstzeitlos

von Martin Reichert

Wenn es in Filmen um Homosexualität geht, dann dreht sich entweder alles um das Coming-out, oder der/die Homosexuelle ist am Ende tot. Wie langweilig. Allerdings dreht sich bei heterosexuellen Filmen auch immer alles um eine Achse: Boy meets girl. Gähn.

Könnte man denken. Aber so wie in der Uraltnummer „Boy meets girl“ immer noch verdammt viel Musik steckt („My First Lady“, „Bridget Jones Baby“, sieben Milliarden Menschen), hat auch das Coming-out immer noch Relevanz, jeden Tag: Das „Herauskommen“, das Sichzeigen, das „Sichbekennen“ bedeutet einerseits Selbstwerdung und andererseits gesellschaftliche Konfrontation.

Gestern wurde nun der internationale Coming Out Day gefeiert, Anlass auch für manche, wieder einmal genervt die Augen zu rollen: Was müssen sie uns immer belästigen mit ihren „Privatangelegenheiten“ und Schweinereien.

Diese Zumutungen des Andersseins. Aber es lässt sich nun einmal nicht vermeiden: Heterosexuelle müssen ihre Umwelt nicht über ihre sexuelle Orientierung unterrichten, weil sie ganz einfach selbstverständlich ist. Heterosexualität gilt auch nicht als anstößig, obwohl gerade in diesen Kreisen reihenweise ungeschützter Geschlechtsverkehr ausgeübt wird und das Ergebnis zügelloser Intimitäten neun Monate später plärrend im Deutsche-Bahn-Großraumwagen unterwegs ist.

Mein eigenes Coming-out fand in einer Zeit statt, in der große Hoffnung bestand, dass wirklich alles besser wird. Mitte der neunziger Jahre war die Zeit des großen Aidssterbens vorbei, die Weltreligionen waren etwas, wovon man glaubte, man würde sich in Zukunft nicht groß damit beschäftigen müssen, und Klaus Wowereit stand schon in den Startlöchern, um der erste offen schwule Spitzenpolitiker Deutschlands zu ­werden.

Und doch gab es Ungleichzeitigkeiten. Mit meinem ersten Boyfriend, einem Siebenbürger Sachsen, der gerade aus Rumänien in Berlin angekommen war, begaben wir uns auf Coming-out-Reise zu unseren Familien. In Rumänien flogen wir mitten in der Nacht aus der Wohnung der Mutter („Ich kann das nicht“), bei mir zu Hause explodierte im übertragenen Sinne das Wohnzimmer, für meine Eltern brach eine Welt zusammen. Es war für alle ­Beteiligten ein schmerzhafter, langwieriger Prozess.

In dieser Zeit bin ich gewachsen, so wie meine Eltern über sich hinausgewachsen sind – denn auch sie mussten ja ihre Ängste überwinden. Was habe ich für ein Glück gehabt: Allein in meinem persönlichen Umfeld gibt es so viele schwule Männer, die noch immer große Schwierigkeiten mit ihren Familien haben. Die nicht über ihre Liebe sprechen können, die immer wieder bedrängt werden, wann sie denn nun endlich (eine Frau) heiraten. Die ihre sexuelle Orientierung am Arbeitsplatz lieber verbergen.

Am Coming Out Day daher ein Dank an meine Familie, meine Freunde und KollegInnen, die mir allzeit das Gefühl vermitteln, auch nach meinem Coming-out ein willkommener, liebenswürdiger Mensch zu sein. Ihr seid toll.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen