■ In Norwegen gewinnen die Rechtspopulisten die Wahlen: Die Eigentore der Sozialdemokraten
Norwegens Ministerpräsident Thorbjörn Jagland hatte mit hohem Einsatz gespielt. Wenn ihr mich nicht liebhabt und mir mindestens so viele Stimmen gebt wie meiner Vorgängerin „Landesmutter Gro“, schmeiß' ich den Laden hin – mit dieser Provokation wollte er das Wahlvolk an die Urnen zwingen.
Die Rechnung ging nicht auf. Auch treue SozialdemokratInnen wollten sich nicht erpressen lassen und blieben einfach zu Hause – wenn sie nicht gar aus Protest für eine Oppositionspartei stimmten. Eine verwirrte Sozialdemokratie, die zu alledem auch noch ein respektables Ergebnis erzielte, faßte sich am Tag nach der Wahl an den Kopf und fragt sich: Wie konnten wir nur? Um so mehr, als ein Vorgänger Jaglands, Bratteli, 1972 mit genau der gleichen Dummheit gescheitert war. In Norwegen wird es also einen Regierungswechsel geben. Zum ersten Mal wird in Skandinavien nun der Kandidat einer Partei, die das Wort „christlich“ im Namen führt, regieren. Bondevik, der seine politische Karriere schon hinter sich zu haben schien, führte seine Minipartei zu nie erreichten Höhen. Sein Versprechen, eine Mitte-Koalition zu bilden, wurde honoriert. Vielen, die der Sozialdemokratie einen Denkzettel verpassen wollten, erschien er als vertretbarere Wahl als der Rechtsaußen Hagen. „Hagen der Große“, wie die Boulevardpresse den Rechtspopulisten nach seinem Wahlerfolg glaubte betiteln zu müssen, hatte es glänzend verstanden, mit dem Thema Stimmen zu scheffeln, das der wunde Punkt der Regierungspolitik war.
Norwegen gilt als reiches Land. Auf dem Papier. Obwohl es der breiten Bevölkerung auch materiell an nichts fehlt, herrscht das latente Gefühl, zu kurz zu kommen. Wenn dann eine Regierung unverständlicherweise von Sparen spricht, die Zeitungen aber voll sind mit Berichten über Mängel im Sozialwesen, schlägt die Stunde der Demagogie. So verfing Hagens Vorhersage, der ganze Nationalreichtum drohe sich in einem künftigen Bürgerkrieg aufzulösen, falls man noch mehr Fremde ins Land lasse. Der Slogan wirkte.
Denn der Wohlstand hat die NorwegerInnen nicht großzügiger, sondern geiziger und ängstlicher gemacht. So neigt das Land zu isolationistischen und fremdenfeindlichen Tendenzen. Der „positive“ Nationalismus, der Norwegen vor noch nicht einmal 100 Jahren zur Selbständigkeit verhalf und sich während der Nazi-Okkupation bewährte, schlägt in Extremismus um. Reinhard Wolff
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