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In Italien stand gestern die Postenverteilung im rechten Regierungsbündnis kurz vor dem Abschluß. Die Frage, die das Land derzeit bewegt, ist die nach den möglichen Dunkelmännerzirkeln hinter der Regierung Berlusconi. Aus Rom Werner Raith

Der „Logenplatz“ im Gruselkabinett

Wer bringt in Italien eigentlich wen an die Macht? Hievt Medienmogul Silvio Berlusconi nun auf mehr oder minder „legale“ Weise jene Dunkelmänner in die Regierung, die die demokratischen Institutionen seit Anfang der achtziger Jahre parlamentarisch wie juristisch auszuschalten gesucht haben? Oder wurde umgekehrt der Mailänder Quereinsteiger durch die insgeheim wiedererstarkten halbseidenen Kungel-Clubs aus Hochfinanz, Top-Beamten, Militärs und undurchsichtigen Unternehmern zur bestimmenden Größe der soeben entstehenden „Zweiten Republik“?

Die Frage weckt ein Trauma aus den frühen achtziger Jahren, das man eigentlich schon verwunden glaubte. Damals hatte eine parlamentarische Untersuchungskommission ein geradezu unvorstellbares „unterirdisches“ Netzwerk von undurchsichtigen Geschäftemachern, Politikern und Beamten entdeckt. An die tausend Spitzenpolitiker – darunter zwei Minister, drei Staatssekretäre und diverse Parteiführer – und Topfinanziers, der gesamte Generalstab des Heeres und sämtliche Chefs der Geheimdienste, hohe Polizeiführer und Carabinieri-Generale, berühmte Journalisten, Verleger und Medienherrscher hatten sich da unter dem Namen „Propaganda2“ (P2) zusammengeschlossen.

Ziel war neben gegenseitiger Karriereförderung und dem Zuschanzen ansehnlicher öffentlicher Posten und Aufträge auch die Ausarbeitung und Durchführung politischer Projekte: ein „Plan zur demokratischen Erneuerung“, den Staatsanwälte während einer Hausdurchsuchung beim kurz zuvor untergetauchten „Propaganda2“-Chef Licio Gelli fanden, belegte Pläne zu einer Wende, die Italien zu einer Präsidialrepublik nach dem Vorbild De Gaulles im Frankreich der späten fünfziger Jahre machen sollte. Mittel dazu waren die starke Einschränkung von Verfassungsrechten, eine massive Gängelung von Presse, Gewerkschaften und Justiz sowie der Abbau der Kontrolle der Regierungsgeschäfte durch eine umfängliche Entmachtung des Parlaments. Das sollte durch Erpressung von Parlamentariern und der Staatsspitzen mit Hilfe brisanter Geheimdienstdossiers geschehen, notfalls aber auch mittels eines Staatsstreichs.

Die P2-Loge wurde nach ihrem Auffliegen durch Gesetz aufgelöst, ein Gutteil ihrer Mitglieder kam wegen diverser Delikte vor Gericht. Doch nie sind Vermutungen verstummt, der undurchsichtige Verein sei allenfalls auf Tauchstation gegangen, keineswegs aber wirklich dauerhaft gesprengt worden. Daher denn auch die Frage, die nun viele Italiener bewegt: Mitglied dieser Loge war nämlich auch der nun so erfolgreich in die Politik eingestiegene Silvio Berlusconi – er hatte den Mitgliedsausweis Nummer 625. Er hat seine Logenzugehörigkeit zwar stets heftig heruntergespielt. Bei seinen gerichtlichen Einlassungen zur Sache verwickelte er sich dann aber in solche Widersprüche, daß er nur knapp einer Verurteilung wegen Meineids entging – lediglich die Verjährung bewahrte ihn vor einer Gefängnisstrafe.

Vieles spricht dafür, daß große Teile der offiziell aufgelösten Logen weiter an ihren Projekten gearbeitet haben und sich Berlusconi gut als ihre politische Galionsfigur vorstellen können. Er bürgt für eine Politik in ihrem Sinne, auch sonst durch vieles, was seine Laufbahn prägt. So hat sich zum Beispiel das vordem als Enthüllungsorgan Nummer 1 tätige Politmagazin Panorama seit seiner Übernahme durch eine Berlusconi-Holding in Sachen Mafia, Korruption und Logen in ein zahmes Provinzblättchen verwandelt.

Wie schnell sich so manche Institution dem Aufstieg des Mannes mit einem Jahresumsatz von umgerechnet neun Milliarden Mark zum Lenker der italienischen Gesamtpolitik anpaßt, zeigte sich sofort. Kaum waren die Wählerstimmen Ende März 1994 ausgezählt, schloß das römische Schwurgericht, das seit sage und schreibe elf Jahren in Sachen P2 verhandelt, den Prozeß ab – mit einem Urteil, bei dem der Nation der Mund offen stehen blieb: Der Bund sei keineswegs als „kriminelle Vereinigung“ anzusehen gewesen, lediglich einige seiner Mitglieder seien auf Abwege geraten. Und das obwohl es bereits rechtskräftige Urteile gegen mehrere Dutzend der obersten Logenbrüder wegen Erpressung von Staatsorganen, terroristischen Taten und gar Mord gegeben hatte. Allein der Propaganda2-Chef Licio Gelli wurde im Laufe der Jahre zu mehr als 20 Jahren verurteilt. Die können allerdings nur zu einem knappen Viertel vollstreckt werden, weil er sich nach seiner Flucht in der Schweiz gestellt hat und diese ihn nur unter sehr restriktiven Auflagen ausgeliefert hat. In jedem Fall hat Berlusconi damit eine Art Persilschein erhalten; wie auch immer er seine Teilhabe am Geheimbund rechtfertigt, einer kriminellen Vereinigung hat er nicht angehört – zumindest so lange, wie die oberen Instanzen dieses Urteil bestätigen. Bis zum Abschluß des Rechtsweges werden noch Jahre vergehen. Natürlich können neben Berlusconi auch noch andere Mitglieder der P2 frohlocken – sie tun es auch und zeigen damit an, daß die illegalen Tätigkeiten der düsteren Brüder nie zum Erliegen gekommen waren. Berlusconi selbst nutzt den Logen-Freispruch voll und ganz. Kaum war das Urteil gesprochen, benannte er mit Antoni Martino einen Mann zum künftigen Außenminister, der seinerzeit ebenfalls einen Antrag auf Aufnahme in die P2 gestellt hatte. Er kam damals nur deshalb nicht mehr zum Zug, weil der illustre Verein da gerade aufflog.

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