In Fußballland: Südamerika in Fernost
In Punkto Müllorganisation sind Japaner wirklich unschlagbar. Schließlich sammeln sogar Fußballfans ihren Müll wieder ein, bevor sie das Stadion verlassen.
Nachdem ich die 500 Euro weggeworfen hatte, fuhr ich zum Fußballspiel. Mit dem Expresszug vom Bahnhof Shinjuku dauerte es zur Station in der Nähe des Ajinomoto-Stadions nur 17 Minuten. Ein paar Fans des F. C. Tokio (auf die Punkte hinter dem "F" und dem "C" legt der Klub Wert) saßen schon im Zug, doch selbst beim Fußmarsch zum Stadion hatte man nicht das Gefühl, wirklich unterwegs zu einem Spiel zu sein. Es ging so leise und unaufgeregt zu wie vor einem Leichtathletiksportfest für Senioren.
Japanische Fußballfans wurden bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich berühmt dadurch, dass sie nach Abpfiff ihren Müll wieder mitnahmen. Allerdings verschaffte ihnen das unverdientes Aufsehen, denn Japaner nehmen ihren Müll immer mit nach Hause, weil es in ihrem Land kaum Abfalleimer gibt. Wer Abfall hat, kann ihn nicht wegwerfen (außer er lässt ihn in einem unvorstellbaren Akt des Vandalismus einfach auf die Straße fallen) und muss die leere Plastikflasche oder das benutzte Papiertaschentuch mit heimnehmen.
Dieser Umstand sollte jedoch nicht zu dem falschen Rückschluss verleiten, die abfallbeladenen Japaner seien dröge Stadionbesucher. Zu den weniger bekannten Seiten japanischen Lebens gehört nämlich das weitverbreitete Vergnügen an Freizeitlärm, das sich sowohl im infernalischen Krach der Pachinko-Hallen wie der notorischen Begeisterung für Heavy Metal ausdrückt.
Beim Spiel des F. C. Tokio gegen die Kashima Antlers machten beide Kurven fast ununterbrochen Krach. Irgendwas zu singen (vor Spielbeginn zum Mitlesen an der Anzeigetafel: "Youll never walk alone") und zu klatschen gab es immer.
Bemerkenswert dabei war, dass die Fans des erst vor zehn Jahren gegründeten F. C., laut eigener Beschreibung ein "Klub fürs Volk", eher den südamerikanischen Stil der Anfeuerung pflegten, während die Gäste sich italienisch inspiriert gaben. In der Tokio-Kurve hingen vom Oberrang bis zum Boden lange Banner, unter denen die Fans fast unaufhörlich hüpften, die sich als Mitglieder der "Torcida" des Klubs verstehen. Die mitgereisten Antlers hingegen unterstrichen ihren Ultra-Style durch Banner auf Italienisch.
Auf dem Rasen wurde es erst in der zweiten Halbzeit lustig, und es gab dort schließlich einen unterhaltsamen 3:2-Favoritensturz des Tabellenführers aus Kashima. Dann war Schluss und auf dem Heimweg waren alle wieder so still und diszipliniert, dass der Weg zum Bahnhof auch durch ein Krankenhaus hätte führen können. Auch auf den Bahnsteigen gab es keine Probleme, ein paar zehntausend Leute extra erledigt ein Bahnhofsvorsteher in Tokio sowieso zwischen zwei Reisbällchen. Nicht das kleinste Gedrängel gab es und schon verlief sich alles im großen Getriebe der Stadt.
Gegen Mitternacht suchte ich dann die 500 Euro, die ich morgens in einem Briefumschlag, den ich im Wirrzustand des Jetlags für leer gehalten und in den Papierkorb des Hotelzimmers geworfen hatte. Selbstverständlich war dieser Papierkorb inzwischen geleert worden wie alle Papierkörbe des 40-stöckigen Hotels. Übermüdet stolperte ich trotzdem zur Hotelrezeption, um mein Missgeschick zu berichten. "Wir werden unser bestes tun", sagte der Concierge, nahm dabei eine stramm militärische Haltung ein, und ich glaubte sogar ein Knallen der Hacken zu hören. Augenblicklich machte er sich auf den Weg in den Müll.
Beim Versuch einzuschlafen plagten mich die Vorstellungen des armen Mannes, der in einem riesigen Abfallberg herumwühlte. Dann wurde ich wach, es war früher Morgen und ein rotes Licht signalisierte mir, es gäbe eine Nachricht. Ich rief an und stolz vermeldete mein Mann im Müll: "Wir haben ihren Umschlag gefunden." Das Geld war auch noch drin, führte er mir stolz vor.
Wie lange hatte er denn gesucht, fragte ich kleinlaut. Ach, nicht länger als eine Viertelstunde, winkte er ab. Der Abfall würde schließlich etagenweise gesammelt. Dann gab er mir das Geld und fragte, ob ich den Umschlag noch bräuchte. "Den können Sie wegwerfen", sagte ich. "Sicher?", fragte er, schaute noch einmal demonstrativ hinein und grinste. Gut, die Pointe hatte er sich verdient, in Sachen Müll (und bei Zügen, Höflichkeit und beim Essen) sind Japaner halt unschlagbar.
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