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■ In Frankfurt/Oder gibt es das erste deutsche Soteria-Haus„Tagessatz nicht höher als in der Klinik“

Während in Bremen, Hannover, Gütersloh, Tübingen, München... die „Soteria“-Idee als Alternative zur vollstationären Behandlung von psychisch kranken Menschen noch im Konzept-Status verharrt, eröffnet Frankfurt/Oder als erste deutsche Stadt in diesen Tagen ein Soteria-Haus (siehe auch obigen Kasten). Das Haus fungiert als deutsch-polnisches Modellprojekt und geht vor allem auf die Initiative der Deutsch-Polnischen Gesellschaft für seelische Gesundheit zurück. Matthias Hellermund – Pädagoge, Musik- und Kunsttherapeut, Musiker aus Hamburg – ist der Projektleiter.

taz: Welche Strategien hatten Sie anderen Städten voraus?

Matthias Hellermund: Als ich vor etwa sechs Jahren hierherkam, fand ich bei den Fachleuten viel mehr Offenheit gegenüber neuen Projekten vor sowie die Bereitschaft dafür, kreativ zu sein. Man wollte das Kostenträgerdenken aus dem Westen nicht akzeptieren. Und durch die deutsch-polnische Partnerschaft – unser Gebiet ist Euro-Region – hatten wir die Möglichkeit, an europäische Gelder heranzukommen: 900.000 Mark für die Renovierung eines Hauses und Personalvorfinanzierung in knapp der gleichen Höhe. 25 Prozent von diesem Geld zahlt das Land Brandenburg. Die Stadtverwaltung Frankfurt/Oder hat uns ein schönes Haus zur Verfügung gestellt. Vom Arbeitsamt bekamen wir auch ein wenig. Das reicht bis '98/99.

Was folgt dann? Die Krankenkassen vermuten ja allerorten bei Soteria höhere Kosten als in der Psychiatrie, wo 300 bis 600 Mark am Tag bezahlt werden. Können Sie schon sagen, wie hoch der Tagessatz in Ihrem Haus ist?

Wir verhandeln jetzt schon mit Krankenkassen, Jugendämtern, Sozialämtern. Wir haben ein paar Finanzierungsmodelle entwickelt, da kann ich noch nicht viel dazu sagen, weil das ungelegte Eier sind. Aber ich denke, wir schaffen das. Beim Tagessatz – da muß ich mich in die Nesseln setzten... Er wird auf keinen Fall höher sein als der in der Klinik.

Sie haben zehn MitarbeiterInnen für zehn HausbewohnerInnen. Ist das nicht knapp?

Zwei sind immer da, denn es muß ja vor allem die Krisenbegleitung im weichen Zimmer gewährleistet werden. Zwei sind nicht viel, aber ich denke, es wird reichen.

Arbeiten auch sogenannte Nicht-Professionelle mit?

Wir haben einen bildenden Künstler, eine Tänzerin, eine Historikerin, aber auch Sozialarbeiter und Psychologen im Team. Und einen Psychiatrie-Erfahrenen und eine Angehörige.

Sie haben sich eng am Soteria-Konzept in Bern orientiert?

Ja. Wir nehmen Menschen auf, die ihre Krise ohne Medikamente durchleben wollen, aber auch solche, die nicht darauf verzichten möchten. Es soll alles möglichst selbstbestimmt ablaufen.

Wann können denn die Menschen einziehen?

Der erste Bewohner ist schon da, obwohl wir noch die Maler und Tischler im Haus haben. Nächste, übernächste Woche können dann weitere Leute kommen. Eine ganze Menge Interessenten haben schon angerufen.

Wird es auch auf polnischer Seite ein Soteria-Haus geben?

Der Verein „Hilfe der Neurologie und Psychiatrie“Gorzów ist Träger des polnischen Soteria-Projektanteils. Und in der Klinik Slubice soll unter der Regie der Abteilung in Gorzów eine entsprechende Station eingerichtet werden. Fragen: Silvia Plahl

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