■ In Albanien rächt sich, daß der Versöhnungsprozeß ausblieb: Zu allem bereit
Es verwundert schon, daß sich die Europäische Union angesichts der jüngsten blutigen Unruhen in Tirana Sorgen um den Versöhnungsprozeß in Albanien macht. Dies dürfte wohl eher eine der üblichen Floskeln sein, um die eigene Hilflosigkeit zu überdecken, oder einfach eine Verklärung der politischen Realitäten. Denn auch den westlichen Vertretern müßte mittlerweile klargeworden sein: Der vielbeschworene Versöhnungsprozeß hat in Albanbien überhaupt noch nicht begonnen.
Einer der Hauptverantwortlichen dafür ist Sali Berisha. Seit seiner Entmachtung nach den Neuwahlen vom Juni 1997 hat Albaniens Exstaatspräsident alles dafür getan, Versuche, die politische Lage im Land zu stabilisieren, zu hintertreiben. Dafür war und ist Berisha jedes Mittel recht. Bereits mehrere Monate boykottiert seine demokratische Partei die Sitzungen des Parlaments. Auch in der Kommission zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung glänzen die Demokraten durch Abwesenheit. Seit die sozialistische Regierung Ende August mehrere ehemalige Minister Berishas unter dem Vorwurf, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, verhaften ließ, ruft Berisha seine Anhänger regelmäßig zum Sturz der – rechtmäßig gewählten – Regierung auf.
So war der jetzige Ausbruch von Gewalt, der fatal an die Bilder vom Frühjahr 1997 erinnert, nur eine Frage der Zeit. Das Terrain dafür hat Berisha schon lange bereitet. Daß gerade der gewaltsame Tod des Oppositionspolitikers Azem Hajdari die Unruhen auslöste, paßt Berisha nur zu gut ins Konzept. Schließlich haftet Hajdari, der im vergangenen Jahr von einem Sozialisten im Parlament angeschossen wurde, noch immer das Image des rebellischen Studentenführers aus den Zeiten der politischen Wende Anfang der Neunziger an. Das schürt Emotionen und läßt Heldenmythen entstehen, die in Albanien problemlos instrumentalisiert werden können.
Überdies rächt sich, daß es den Sozialisten bis jetzt nicht gelungen ist, den Norden des Landes wieder unter Kontrolle zu bekommen, der durch die ständig wachsende Zahl von kosovo-albanischen Flüchtlingen ohnehin schon einer extremen Belastung ausgesetzt ist. Denn hier befinden sich auch die Hochburgen der Berisha-Unterstützer, die, gut bewaffnet, nur darauf warten, wieder mit Gewalt Fakten zu schaffen. Und so könnte ein gewaltsamer Umsturz in Albanien der sozialistischen Regierung schneller als geplant ein Ende setzen. Zumindest Berisha ist, auch um den Preis vieler Opfer, zu allem bereit. Barbara Oertel
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