Impressionen aus Wilhelmsburg

Hamburgers „andere Seite“: Eine Dokumentation auf N3  ■ Von Lydia Hebbelmann

Es gibt eine Welt jenseit von Eppendorf und Schanze – nur, dass von ihr selten berichtet wird. Als Ulrich Patzwahl im Sommer nach Wilhelmsburg kam, um eine Reportage über die Menschen am Reiherstieg zu machen, waren seine potentiellen Interviewpartner miss-trauisch: „Erst mal haben sie gesagt, das ist ja schön, dass Ihr auch mal kommt. Dann gab's die Reaktion: warum kommst du – doch bestimmt wegen der Kampfhunde oder wegen der Frauenmorde.“ Als dann aber geklärt war, dass Patzwahl nicht aus Sensationsgier da war, hat es geklappt.

Der Reiherstieg, 14 km lang, ein Elbarm von der Süder- zur Norder-elbe, ist ein Hafenkanal, in der Mitte nur noch eingeschränkt schiffbar. Früher war er einmal der wichtigste Werftkanal, eine der meist befahrenen Fährstrecken und einer der größten Arbeitsplätze im Hamburger Hafen. Seit dreißig Jahren wandert dieser Hafen mit seinen großen Containerterminals nach Westen.

Ulrich Patzwahl, ehemaliger Hannoveraner, entdeckte den Reiherstieg beim Fahrradfahren am Wochenende, und auch sein Kameramann Kay Andersson wohnt hier. Der NDR war begeistert von der Idee, das Image Hamburgs als Stadt der Pfeffersäcke und Kaufleute mal etwas zu korrigieren und kleine Geschichten von Menschen zu bringen, die sonst niemand erfahren würde. Funkhaus-Chefin Dagmar Reim: „Diese Menschen in dem Film beschäftigen sich mit ganz verschiedenen Dingen. Aber sie alle haben keinen schnöseligen Ton drauf.“ Na, sowas. Ulrich Patzwahl war am Reiherstieg unterwegs. Er fragte bei den Werften, ob sie noch Aufträge haben, hat Tage am Zoll und auf den Reiherstiegbrücken verbracht und sich zwei Wochen am Stübenplatz, im Gründerzeitviertel von Wilhelmsburg, einquartiert.

Er trank mit dem Getränkehändler Schmal, der inzwischen seinen Laden aufgegeben hat, Kaffee und sprach mit verschiedenen Menschen: mit dem Schiffsführer Alfred Büttner, der jeden Tag von den St-Pauli-Landungsbrücken über die Elbe in den Reiherstieg fährt, einem Zöllner, der die Grenze zum Freihafen markiert, einem Brü-ckenwärter, einem Dogger, dem Comiczeichner Ulf Harten, der hier seine Motive findet, der Studentin Janina, die hier ehrenamtlich Schiffe restauriert. Entstanden ist ein schöner, stiller und manchmal sogar witziger Film, in dem der Autor mit seinen etwas braven Fragen manchmal alt aussieht. Das scheint aber Methode zu sein, denn dafür bekommt er knochentrockene „original hamburgische“ Antworten.

Das Viertel mit seinem hohen Ausländeranteil, seinen vielen offenen Fragen, mit seinem trotzigen Dorfcharakter, ist wohl doch etwas Besonderes. Wer am Reiherstieg aufgewachsen ist, will nicht wieder weg, wie der Bankangestellte Sascha, der hier mit seinen Freunden Dschenk, Özhür und Salvatore nicht nur eine Clique, sondern auch eine Band hat – die eben SüdseitStimmung heißt. Ein bißchen Promotion darf auch sein. Die „Südseitstimmung“ Hamburgs wird hier auf jeden Fall eingefangen. Der Gefahr einer Milieustudie, dem lockeren Von-oben-herab-Betrachten, ist Patzwahl glücklicherweise nicht erlegen. Diese „Reportage-Collage“, O-Ton Patzwahl, bringt einen im Gegenteil auf Augenhöhe ganz nah an ein Stück Hamburg, das man nicht kennt, das es aber wert ist, gekannt zu werden.

Hamburger Hafen – „Südseitstimmung“. Menschen am Reiherstieg: heute, 20.15 Uhr, N3