Impfpflicht für Pflegepersonal: Das große Politikversagen

Bis Mitte März müssen alle Pflegekräfte einen Corona-Impfnachweis vorlegen. Aber jetzt will Söder dieses Gesetz in Bayern nicht umsetzen, und es wird von einem drohenden Pflegenotstand schwadroniert. Unsinn.

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Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 08.02.22 | Im Dezember letzten Jahres wurde vom Bundestag in das Infektionsschutzgesetz (IfSG) der neue Paragraph 20a eingefügt, der „Immunitätsnachweis gegen Covid-19“. Für alle Pflegekräfte, die in Einrichtungen des Gesundheitssystems arbeiten, wurde damit eine Impfpflicht gegen Covid-19 eingeführt, verbindlich gültig ab 1. April 2022.

Alle Pflegekräfte müssen nun bis zum 15. März ihren Arbeitgebern ihren Impfnachweis vorlegen. Unterbleibt diese Vorlage, darf der Arbeitgeber die Pflegekraft nicht mehr in seinen Einrichtungen beschäftigen und muss sie dem örtlichen Gesundheitsamt melden. Das Gesundheitsamt entscheidet nach „pflichtigem Ermessen“, ob der impfverweigernden Pflegekraft ein Beschäftigungsverbot ohne Lohnfortzahlung erteilt wird oder ob der Arbeitgeber sie auch ungeimpft weiter beschäftigen muss.

Diese einrichtungsbezogene Impfpflicht ist eine nachvollziehbare, ja längst überfällige Maßnahme des Gesetzgebers. Mit ihr wird das Funktionieren aller Einrichtungen der Gesundheitsversorgung in der Covid-19-Pandemie sichergestellt. Zugleich werden die zu Pflegenden, die durch das Virus in Lebensgefahr geraten können, Alte, Kranke und Behinderte, vor einer Infektion durch ungeimpftes Pflegepersonal geschützt. Das Gesundheitssystem wird gesellschaftsweit stabilisiert.

Von 1,7 Millionen Pflegekräften in Deutschland sind etwa 10 Prozent bisher ungeimpft

Die Zuständigkeit der Länder, der Kommunen und der Gesundheitsämter für die Erteilung eines Beschäftigungsverbotes entspricht der Logik des Infektionsschutzes für alle Bürger. Bei einem so weitreichenden Eingriff ins Selbstbestimmungsrecht ist jede Art von Willkür auszuschließen. Die Erteilung eines solchen Verbotes ist auch bei anderen Seuchengefahren rechtsfeste und breit akzeptierte Verwaltungspraxis, etwa bei Salmonellen- und Choli-Bakterienbefall, bei Geschlechtskrankheiten, beim Ausschluss von ungeimpften Schülern und Lehrern vom Schulunterricht im Falle von Masern oder auch beim ewigen Läusetheater.

Alles in Ordnung also und jede Unruhe vor dem 15. März unbegründet? Oder kommt das Pflegesystem in der Bundesrepublik wegen der dann fehlenden ungeimpften Pflegekräfte in Nöte, wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder für sein Bundesland fürchtet, weshalb er den Vollzug der Impfpflicht dort zunächst aussetzen will?

Es gibt 1,7 Millionen Pflegekräfte in der Bundesrepublik. Es wird nach Schätzungen davon ausgegangen, dass etwa 10 Prozent der Pflegekräfte bisher ungeimpft sind. Das wären im schlechtesten Fall etwa 170.000 Leute. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil die Bundesregierung sich weigert, ein datenschutzsicheres Impfregister aufzulegen.

Die Träger der Pflegeinfrastruktur unterstützen die Impfpflicht für ihre Mitarbeiter

Es wird angenommen, dass die Zahl der ungeimpften Pflegekräfte weiter sinkt. Denn zahlreiche Ungeimpfte werden wegen der für sie zu erwartenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten rechtzeitig vor dem 15. März den Weg zum Impfarzt finden. Seit Wochen erklären die öffentlichen, die gemeinnützigen und die privaten Träger der Pflegeinfrastruktur, dass sie den Personalausfall der Ungeimpften durch organisatorische Maßnahmen gut ausgleichen können. Sie unterstützen die Impfpflicht für ihre Mitarbeiter, weil sie mit einem Beschäftigungsverbot die Spaltung und Verunsicherung zurückdrängen können, die die Impfverweigerer in ihre Belegschaften bringen.

Kurzum: Die Impfpflicht reduziert das Problem.

Die angeblich bevorstehende Versorgungskrise bei ihrer Umsetzung gibt es nicht und wird es nicht geben. Ihre Beschwörung ist ein Beispiel für den unverantwortlich skandalisierenden Journalismus in der Bundesrepublik. Hier wird eine Corona-Pflegekrise mit immer neuen fake news geradezu herbei geschrieben.

In der Geschichte des öffentlichen Dienstes ist es einmalig, dass Beamte, sei es in Landratsämtern, Kreisverwaltungen oder Gesundheitsämtern, öffentlich erklären, sie könnten und würden die gesetzliche Beschäftigungspflicht nicht umsetzen. Genau betrachtet ist das eine bewusste Verletzung ihrer Dienstpflichten und Grund genug für disziplinarische Maßnahmen.

Es fehlen einheitlichen Bundesvorgaben zur rechtsfesten Umsetzung des Gesetzes

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Länder und Kommunen bisher trotz ihrer Zuständigkeiten keinen Versuch unternommen haben, einheitliche, leicht zu überprüfende Kriterien in der ganzen Bundesrepublik für das Aussprechen eines einrichtungsbezogenen Beschäftigungsverbotes in der Pflege fest zu schreiben. Das wird dazu führen, dass die Beschäftigungsverbote je nach Ort willkürlich verschieden ausfallen und die Prüfungsverfahren im Einzelfall sehr lange dauern werden. Mit der Folge, dass der Schutzzweck des Gesetzes ins Leere läuft, weil das Bundesgesundheitsministerium (BMG) festgeschrieben hat, dass die Ungeimpften bis zur Erteilung eines Beschäftigungsverbotes durch die Gesundheitsämter weiter beschäftigt werden müssen.

Sicher sind die Gesundheitsämter, die ja schon die vorgeschriebene Nachverfolgung des Infektionsgehens weitgehend eingestellt haben, durch das Infektionsgeschehen stark belastet. Aber der bisherige Einsatz der Bundeswehr in der Infektionsabwehr weist auf den Weg hin, auf dem die Exekutive für die Umsetzung der vom Gesetzgeber beschlossenen Vorgaben sorgen könnte. So ist vorstellbar, dass einheitliche, rechtsfeste Verfahren zum Aussprechen eines Beschäftigungsverbotes von Bund und Ländern, zum Beispiel in der Gesundheitsministerkonferenz, festlegt, das Anordnen eines Beschäftigungsverbotes bei den Landesgesundheitsämtern konzentriert und aus allen Verwaltungen Personal für diese Aufgabe dorthin abgeordnet wird. Mit einem solchen Vorgehen könnten im Vorgriff auf die Verabschiedung einer allgemeinen Impfpflicht schon jetzt die Strukturen zu deren Durchsetzung erprobt werden.

Es beunruhigt, dass die politisch Verantwortlichen in den staatstragenden Parteien durch schlechtes Regieren die Legitimität und die Herrschaft der Gesetze aushöhlen. Ein notwendiges Gesetz zu beschließen, aber nicht dafür zu sorgen, dass es mit einheitlichen Bundesvorgaben rechtsfest umgesetzt werden kann, das ist Politikversagen. Mit diesem Vorgehen werden die Staatsfeinde unter den demonstrierenden Impfverweigerern bestärkt, wird der öffentliche und politische Raum ihnen überlassen. Sie nehmen dieses Politikversagen als als Chance, Verachtung, Hass und Dummheit in der Gesellschaft weiter zu normalisieren. Ausbaden müssen dieses Politikversagen die Alten, die Kranken, die Behinderten und ihre geimpften Pfleger.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen.

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