Impeachment und US-Wahl 2020: Kein gutes Haar
Im Big Russ Barbershop wird Trump nicht beim Namen genannt. Was die Barbiere und ihre Kunden in Harlem über ihren Präsidenten zu sagen haben.
W enn im „Big Russ Barbershop“ überhaupt einmal die Rede auf einen bestimmten US-Präsidenten kommt, dann höchstens auf Barack Obama. Den Namen seines Nachfolgers erwähnen die Barbiere und ihre Kunden, die für kurze und extrem kurze Haarschnitte, für Rasuren und für den Smalltalk in den Eckladen in Harlem kommen, nicht.
Niemand hat das festgelegt. Es hat sich einfach so ergeben. „Der Typ“, sagen sie über Donald Trump. Oft ist der Mann, dessen langjähriger Hauptwohnsitz in seinem vergoldeten Hochhausturm nur acht Kilometer Luftlinie weiter südlich liegt, in ihren Gesprächen „der Trottel“. Und manchmal auch „derjenige, der kein Präsident ist“.
„Stimmt etwas nicht mit mir, bloß weil ich nicht über den Typen rede?“, fragt Patrick Savage. Er ist der dienstälteste Barbier im Laden. Seine Frage ist rhetorisch gemeint. Patrick Savage ist ein politischer Mensch. Er kann über die amerikanische Geschichte reden und er hat jede Menge Ansichten zum Thema „Race“ – schließlich ist er ein schwarzer Mann im Zentrum von Harlem.
Aber er hat für sich entschieden, dass es für seinen Seelenfrieden besser ist, die Tagespolitik in Washington zu ignorieren und auch nicht wählen zu gehen. „Ich habe weder Hoffnung noch Furcht“, sagt er über das neue Jahr, dessen beide Großereignisse – das Amtsenthebungsverfahren und die Präsidentschaftswahlen – ihre Schatten vorauswerfen: „ich schneide Haare, ich rasiere, und ich sorge dafür, dass genug Kohle reinkommt, um das Essen, die Wohnung und meine Beerdigung zu bezahlen.“ Der Kunde, der auf seinem Drehsessel sitzt und seinen Hinterkopf rasieren lässt, brummt zustimmend: „So ist es, Mann! Dieser Typ macht uns noch alle verrückt.“
Big Russ liegt an der Ecke der 132. Straße, wo schmucke Reihenhäuser mit Steintreppen stehen, in die immer mehr Weiße einziehen, und einem breiten Boulevard mit hohen Mietskasernen, die der Stadt New York gehören. Der Boulevard ist nach einem Mann benannt, der aus der Sklaverei geflohen war und als Vorkämpfer für die Gleichberechtigung im 19. Jahrhundert gilt: Frederick Douglass.
Patrick Savage, dienstältester Barbier
Alles bei Big Russ – die Wände, die Kittel für die Barbiere und die Kunden und die Drehsessel – ist in Rot und Schwarz gehalten. Über den Spiegeln hängen Basketball-Fotos und -Trikots, in der Mitte des Raums prangt ein Basketballnetz. Es sind Erinnerungen an den Sport, mit dem der Besitzer seine Karriere begonnen hat. Ein Barbershop in Harlem ist mehr als ein Ort, an dem Bartstoppeln und Haare fallen. Er ist ein Treffpunkt für Männer aus der schwarzen Community, ein Ort für Gespräche, bei denen es immer wieder laut wird, weil alle gemeinsam ein Thema erörtern.
Die Stammkunden kommen alle zwei Wochen, manchmal öfter. Selbst wenn sie nur ein paar Millimeter neuen Haarwuchs mitbringen, haben sie genug Stoff zum Reden. „Es geht hier vor allem um Frauen“, sagt Jonathan Newkirk, „wie sollte es sonst sein, wenn ein Haufen Männer zusammenkommt? Aber wir sprechen auch über Sport, über die Welt, und manchmal – aber wirklich nur ganz selten – über Religion.“
Über die Arbeit des „Typen“ sind sich bei Big Russ alle einig: Er ist ein schlechter Präsident. Alles Weitere ist umstritten – von dem Amtsenthebungsverfahren bis zu der Frage, ob er im November wiedergewählt wird. Einige bei Big Russ bestreiten auch, dass es „we the people“ sind, wie es in der US-Verfassung heißt, die bei Wahlen die Spitzenpolitiker bestimmen. Sie betrachten „Washington“ als ein abgekartetes Spiel, in dem undurchsichtige Clubs in Hinterzimmern entscheiden, was in ihrem Land geschieht.
Jonathan Newkirk ist der Einzige im Barbershop, der ein paar positive Worte über „den Typen“ findet. „Ich mag seine Persönlichkeit“, sagt er über ihn, „er redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.“ Aber weiter reicht die Sympathie des Barbiers nicht. Er nennt Trump untauglich, weil er ein Geschäftsmann ist, der keine Erfahrung als Politiker hat und weil er „jede Menge Mist“ baut. Aber er macht ihn nicht persönlich verantwortlich, sondern die „Hintermänner, die ihn dahin gesetzt haben“.
Das Amtsenthebungsverfahren betrachtet Jonathan Newkirk als eine Verschwendung von Zeit und Geld. Natürlich hat er seine Zeit auch nicht damit verbracht, die Hearings im Fernsehen anzuschauen. „Was soll der Quatsch“, fragt Newkirk, „wenn wir schon vorher wissen, dass der Typ nicht aus dem Amt geholt werden kann?“
Jonathan Newkirk, Barbier, über das Impeachment
Eine Frau mit einem Jungen im Grundschulalter bleibt vor dem Schaufenster von Big Russ stehen und studiert die Preise. Jonathan Newkirk geht hinaus auf die Straße und bietet seine Dienste an. „Zehn Dollar, wenn er still sitzt“, sagt er, „wenn er zappelt, sind es 20.“ Bislang hat der 54-Jährige als Lastwagenfahrer, als Bauarbeiter und als Packer gearbeitet. Seit zwei Jahren mietet er einen der rot-schwarzen Drehsessel bei Big Russ für die Woche, kommt an sechs Tagen in den Eckladen und macht „Köpfe“. Unter seinen „Köpfen“ sind nicht nur die Afroamerikaner bei Big Russ, sondern auch Euroamerikaner. Ihnen schneidet Newkirk die Haare in Altersheimen, in denen er Hausbesuche macht.
Als Plan für dieses Jahr will Jonathan Newkirk „so viele Köpfe machen wie möglich, weil mein Handwerk dadurch besser wird“. 2016 war er noch im Wahlkampf engagiert. Damals schlug sein Herz für Bernie Sanders. Nach dessen Niederlage wählte er Hillary Clinton, obwohl er fand, dass die „jede Menge Probleme“ mitbrachte. Für diesen November erwartet er nichts Gutes. Er fürchtet, dass Trump wiedergewählt wird – „wegen des Amtsenthebungsverfahren und weil der demokratische Club vermutlich auch dieses Mal wieder jemanden ins Rennen schicken wird, der keine akzeptable Alternative ist“.
Was Barbiere von Friseuren unterscheidet, sind zwei Dinge: Sie benutzen keine Chemikalien, dafür aber Rasierer. In der Regel waschen Barbiere den Kunden auch nicht die Haare. „Es wäre schön, wenn alle mit frisch gewaschenen Köpfen kämen“, seufzt Jonathan Newkirk. In Notfällen sprüht er Wasser auf seine Köpfe, bevor er zu schneiden beginnt. Die Tarife bei Big Russ unterbieten jeden Friseur. Haarschnitte liegen zwischen 14 und 20 Dollar. Rasuren kosten acht Dollar. Zusammen mit dem Trinkgeld – die meisten Kunden geben fünf Dollar – reicht das zum Leben.
Auch für Tito Love, der den Drehsessel neben dem von Jonathan Newkirk gemietet hat, sind das Schneiden und Rasieren von „Fades“, bei denen der Hinterkopf und manchmal die Seiten millimeterkurz und die Haare oben auf dem Kopf etwas länger sind, und von „Caesars“, bei denen alle Haare dieselbe Länge haben, die tägliche Routine. Aber sein Traum ist ein anderer. Der 32-Jährige möchte ein „Megastar“ werden.
Tito Love, geboren in der Dominikanischen Republik, aufgewachsen in New York, macht Housemusik. Sein Haar trägt er in „Corn Rolls“ – in festen Bahnen, die ganz nah an die Kopfhaut geflochten sind. An seinem linken Ohr baumelt ein Kreuz und in einem Nasenflügel trägt er einen glänzenden Stein. Er hat lange geschwungene Wimpern und Tätowierungen auf Hals und Armen. Die eintätowierte Munition, die er an seinem rechten Handgelenk mit sich herumträgt, betrachtet er rückblickend als eine Jugendsünde. Heute interessieren ihn die sanfteren Dinge des Lebens. Allen voran die Liebe, von der auch seine Housemusik-Stücke handeln. „Liebe macht Berge kleiner“ summt er den Refrain aus einem Song, mit dem er in einem Club im Norden von Harlem auftritt.
Zu Politik hat Tito Love keine Meinung. Da er kein Staatsangehöriger ist, kann er in den USA auch nicht wählen. Wenn sich die Kollegen und Kunden im Barbershop die Köpfe über das Amtsenthebungsverfahren heißreden, hört er schweigend zu. Aber auch Tito Love mag den Präsidenten nicht: „Weil er „eine schlechte Person ist“ und weil er „nicht konstruktiv für die Community ist“. Insbesondere stört ihn, dass er „Immigranten am Kommen hindert“. In seinem eigenen Kreis und beim Surfen im Internet sieht Tito Love, dass „alle“ den „Typen“ loswerden wollen. „Ich glaube nicht, dass sie ihn im Herbst wiederwählen werden“, sagt er. Es klingt mehr wie eine Hoffnung als eine Einschätzung.
Ein Kunde wiederspricht: Trump hat gute Chancen
Der Satz von Tito Love stößt bei einem Kunden auf Widerspruch. „Die Ökonomie boomt“, warnt Joseph Egbulefu, der sich einen „Caesar“ im Big Russ schneiden lässt: „Wenn die Leute Geld verdienen, ist das ein Potenzial für eine Wiederwahl.“ Der 38-Jährige hat ein eigenes Unternehmen und lehrt als Dozent an der benachbarten Columbia-Universität. Er wählt andere Worte als die Barbiere. Aber in der Sache geht es ihm wie vielen von ihnen. 2016 hat er nicht gewählt. Er wäre froh, wenn Trump abgesetzt würde. Und er hofft, dass die Demokratische Partei dieses Mal jemanden ins Rennen schickt, der die Basis begeistern kann. „Ein Joe Biden“, sagt er, „kann das nicht.“ Aber Joseph Egbulefu macht sich keine Illusionen, schon gar nicht darüber, dass die Amtsenthebung klappen könnte. Schließlich weiß er, dass die republikanische Mehrheit im Senat Trump freisprechen wird.
Im Juli ist Trump dabei ertappt worden, wie er versucht hatte, den ukrainischen Präsidenten mit dem Zurückhalten von Militärhilfe unter Druck zu setzen, damit der ihm bei seinem eigenen Wahlkampf in den USA hilft. Danach, so glaubt Joseph Egbulefu, war die Demokratische Partei verpflichtet, ein Amtsenthebungsverfahren anzustrengen. Aber er betrachtet diesen Prozess nicht als ein wichtiges Ereignis, sondern als eine Nebenschau. Egbulefu ist in Texas aufgewachsen, wo Trump eine solide Basis hat. „Sie wollen zurück zu einer Zeit, als es keine Gleichberechtigung für Frauen und Homosexuelle gab, als die Industrie noch Arbeitsplätze in den USA schuf“, sagt er, „Trump gibt ihnen die Hoffnung, dass das möglich ist.“
Es wird laut bei Big Russ. Jemand ruft den Slogan „Make America Great Again“, der auf Trumps roten Schirmmützen zu „MAGA“ abgekürzt ist, in den Barbershop. Niemand in diesem Raum hält die USA auch nur annähernd für so vorbildlich, wie es die Politiker in Washington seit Generationen behaupten, ganz egal, ob sie Republikaner oder Demokraten sind. Sie sind schwarze Männer in den USA. Alle haben Rassismus erlebt und die meisten haben eine solide Skepsis gegenüber den Agierenden in Washington entwickelt.
„Dieses Land war nur so lange groß, bis hier die Euroamerikaner angekommen sind“, sagt Barbier Jonathan Newkirk. Ein Kollege ergänzt: „Der letzte gute Moment in Amerika ging zu Ende, als Columbus landete.“ Jemand wirft den Namen „Bill Clinton“ in den Raum. Und umgehend hagelt es Schimpfworte über den ehemaligen demokratischen Präsidenten. Für einen Moment klingt es, als wäre der nicht besser gewesen als der jetzige. „Wir haben ihn gemocht und gewählt“, sagt ein Kunde, der auf seine Rasur wartet, „aber als Clinton Präsident war, hat er Harlem mit Crack überschwemmt und als er anschließend eine Zeit lang sein Stiftungsbüro hier in Harlem hatte, begann die Gentrifizierung unseres Stadtteils.“
Das kleine Imperium von Russel Smith
Der ehemalige Basketballspieler Russell Smith, dem der Eckladen gehört, hat selbst nie als Barbier gearbeitet. Er wusste lediglich, dass Barbershops wegen der Wochenmiete pro Sessel eine sichere Flatrate garantieren. „Ich bin Unternehmer“, sagt der 42-Jährige, „und ich hoffe, dass das 2020 so weitergeht. Wir versuchen doch alle, unsere Ziele zu verfolgen.“ Russ Smith ist dabei besonders schnell.
Er wurde, als er als Teenager für eine Collegemannschaft in Kentucky spielte, von Trainern aus Tunis entdeckt. Sie holten ihn in die Stadt am Mittelmeer. Mit 18 verdiente Russ Smith mit einem Werbespot für Turnschuhe genug Geld, um seinen ersten Barbershop zu eröffnen. Er wählte Harlem, weil dort die Immobilien noch günstig waren. Heute spielt er nur noch Basketball, um fit zu bleiben. Er steht an der Spitze eines kleinen Imperiums aus neun Geschäften in Harlem. Dazu gehören Barbershops, die seinen Namen tragen, eine Boutique, ein Restaurant und ein Saftladen mit frisch gepressten Getränken, der sich im selben Block wie einer der Barbershops befindet.
An diesem Tag presst Russ Smith die Fruchtsäfte selbst. Über den „Typen“, dessen Namen auch er nicht ausspricht, redet er wie über einen Kollegen, der kläglich versagt hat. „Er ist respektlos“, sagt Russ Smith, „wie er sich Frauen gegenüber benimmt, ärgert mich am meisten. Als Geschäftsmann tut man so etwas einfach nicht.“
Russ Smith neigte 2016 eher zu Hillary Clinton, spürte aber keine Begeisterung. Nachdem Trump im Wahlkampf Geschichten über Clintons E-Mail-Affären verbreitet hatte, ging Russ Smith nicht wählen. Er will Trump so schnell loswerden wie möglich. Aber er bereut seine Wahlverweigerung vor vier Jahren nicht. „Meine Stimme hätte nichts am Wahlausgang geändert“, sagt er. Er ist Wähler im Bundesstaat New York, der so oder so mehrheitlich demokratisch stimmt.
Smith hofft auf die Demokraten
Russ Smith gehört zu der kleinen Minderheit von US-AmerikanerInnen, die die Hearings im Amtsenthebungsverfahren gegen Trump vor dem Fernseher verfolgt haben. Er ist überzeugt, dass der Senat den Präsidenten freisprechen wird. Aber das Verfahren hält er dennoch für einen Erfolg. Der Grund ist einerseits Trump selbst: Russ Smith glaubt, dass er seinem Gesicht ansehen kann, „dass er die Sache ernst nimmt“. Andererseits schöpft er Hoffnung aus der schwindenden Loyalität von Trumps Mitarbeitern: „Von denen kommen immer mehr vor Gericht und ins Gefängnis, treten von ihren Ämtern zurück und sind bereit, gegen ihn auszusagen.“ Er glaubt, dass Trumps Ära mit den nächsten Wahlen zu Ende geht, wenn „die Hitze und der Druck gegen ihn steigen“ und wenn die Demokraten es schaffen, „den richtigen Kandidaten aufzustellen“.
Für Russ Smith kämen sowohl Joe Biden als auch Bernie Sanders infrage. Biden, weil der „fair und nicht hasserfüllt“ ist und weil er „acht Jahre an der Seite von Obama gearbeitet hat“. Und Sanders, weil er „großartig ist und so zupackend, wie wir es brauchen“.
„Wieso interessiert sich Deutschland für das Amtsenthebungsverfahren“, fragt Patrick Savage, der dienstälteste Barbier, der von sich sagt, dass es ihm besser geht, wenn er nicht wählt und nicht über Politik redet. Dann gibt er der Reporterin diesen Tipp: „Vergiss nicht, dass dies hier Black America ist. Vermisch uns nicht mit dem weißen Amerika. Das sind getrennte Welten.“
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