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Immunisierung gegen Kritik

betr.: „Das Böse ist neoliberal“, taz vom 22. 11. 99

[...] Ulrike Fokken meint unter anderem, wie sollten uns von Begriffen wie soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Privilegienabbau ... verabschieden, da es sich um sinnentleerte Worthülsen handele. Gegen den „Modernisierungs“-Mainstream ist nicht mal mehr Kritik statthaft, da diese Politik alternativlos ist.

Ich weiß, das kann man meinen, so denken Millionen in diesem Land. Aber was soll so etwas in der taz auf Seite 3? Für solche reaktionären Positionen gibt es doch die FAZ! Oder habe ich da was falsch verstanden? Matthias Nauerth, Ellerbek

Gut reden hat Oswald Metzger. Nachgefragt, ist Metzger ein Vertreter der sozialen Marktwirtschaft. Neoliberal sind dann also jene, die einen Nachtwächterstaat etc. wollen. Was will Metzger? Er will eine Neudefinition des Staates, ein Verbot der Verschuldung des Staates, ein Zurückdrängen der „unheilvollen Spirale aus Anspruchsdenken durch die Gesellschaft“, dann aber Senkung des Spitzensteuersatzes und der Unternehmenssteuern.

Dieses Programm dürfte wohl deutlich in Richtung eines Nachtwächterstaates gehen. Soziale Marktwirtschaft sieht immerhin einen Ausgleich der Folgen des Kapitalismus vor. Davon ist bei Metzger keine Rede mehr.

Seine politischen Vorstellungen diktiert er ohnehin jedem ins Ohr oder Mikro, sodass ich mich wundere, dass er plötzlich abschwört. Seine wesentliche Idee in der Fraktion Bündnis 90/ Grüne ist doch der massive Staatsabbau, das Verbot staatlicher Schuldenaufnahme, die privatisierte und individualisierte Rente und die Kürzung der Sozialausgaben. Wenn das nicht neoliberal ist, was soll es dann sein? Wenn Metzger im Bundestag stolz aus dem Handelsblatt und der FAZ Lobpreisungen für eben diese Politikkonzepte in Richtung CDU/CSU und FDP wirft, dann stellt er sich in direkte Konkurrenz zu den Neoliberalen der Republik.

Was ist denn so schlecht daran, sich selbst zu diesen Vorstellungen zu bekennen? Ich finde, Metzger macht aus seinen Ideen keinen Hehl. Seine politischen Ziehväter sind Otto Lambsdorff und Ernst Albrecht, also bekannte politische Persönlichkeiten. Wenn aber jemand seine Aussagen und Reden liest und findet, der ist neoliberal, dann findet Metzger, dieser sei jemand, „dem es in erster Linie um Besitzstandswahrung und Reformverhinderung geht“. Wenn jemand nach logischer Überlegung Metzger so einstuft, dann weiß Metzger bereits, dass dieser Mensch Reformen nicht mag und anscheinend ne Menge Dinge eingeheimst hat, die er nicht mehr rausgeben will. Sprich, wer Metzger als neoliberal tituliert, der ist selbst unsauber. So was nennt man nachhaltige Immunisierung gegen Kritik.

André Berthy, Hamburg

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