: „Immer sauber geblieben bin ich“
■ Nachruf auf Rudolf Heß / Schlußmonolog des Stückes „Waschtag“ von Friedrich Christian Delius*
(Keller, allein vor der waschenden Waschmaschine) Keller: Ja tata nein tata ja tata nein nein ... nein ja ja nein ja ja ja .. ach, meine gute Maschine, rum tata ja und tata ja rum ja, ... mit dir ist es schön, meine Gute, mit dir kann ich, mit dir kann ich reden, mein gutes Maschinchen, du Brave, wie du mir wieder die Wäsche, geduldig, die Wäsche, rum tata ja, und wie es dir Spaß macht, ich seh, wie es schäumt da in dir, ja du verstehst mich, wie es schäumt, wie es weich wird, immer warf man mir vor, daß ich hart sei und keine Gefühle und alles nur fresse, in mich hineinfresse, aber das stimmt nicht, sieh wie es schäumt, es stimmt nicht, und hat auch früher nicht gestimmt, du weißt es, meine Liebe, oder früher vielleicht bei Ärger, immer wenn ich Ärger hatte und aus dem Büro kam, die Schmerzen im Magen, ja, Schmerzen, schon früher, was sagst du, nein, noch früher, viel früher, eine Ewigkeit, sieben Ewigkeiten ist das her, als ich noch jemand war, Stellvertreter war, nicht Vertreter, nein, ein viel zu bescheidener Titel, da hast du recht, ich war immer zu bescheiden, das war mein Fehler, der Vertreter des mächtigsten Mannes auf Erden, jawohl, das kannst du in jedem Geschichtsbuch lesen, das war ich, dein Freund, meine Miele, manche Leute sagen, ich soll das vergessen, was ich mal war, ich hab es auch beinah vergessen, es hat mich beinah gefressen, es hat natürlich schon Ärger gegeben damals, und was sollte ich machen, was hättest du gemacht an meiner Stelle, als Stellvertreter, so ist es doch, alles was recht ist, alles was mich ärgert, das freß ich, was mir Sorgen macht, das freß ich in mich hinein, nein, nur alles was nicht eindeutig Ja oder Nein ist, das ist von Übel, stimmts?, das muß man fressen, ich habe schon Steine gefressen, das hat mich beherrscht gemacht und hart, stimmts?, beherrscht war ich und bin ich und da bin ich auch stolz drauf und bin ein Mensch geblieben und anständig immer, du kannst es bezeugen, ich gehe aus mir heraus und rede den ganzen Tag locker und frei, die Leute oder was man hier Leute nennt, diese Knechte, die hören mich nur nicht, ich spreche nur zu denen, die mich hören, die mir lieb sind, mit dir zum Beispiel, meine liebe Miele, mit dir am liebsten, weil du mir die schönsten Antworten gibst, rum tata zisch, und rum tata rum ta, aber du brauchst nicht eifersüchtig zu sein, ich geb es ja zu, ich spreche auch mit meinem Stuhl, mit meinem Bettgestell, mit meinem Kopfkissen, ich spreche, wenn ich mit dir nicht sprechen darf, mit meinem Löffel, allerdings mit Messer und Gabel spreche ich nicht, keine Sorge, ich könnte mir ja was antun mit Messer und Gabel, darum hab ich Sprechverbot mit denen, ich bleib dir erhalten, ich werd mich nicht selber aufspießen mit der Gabel und auffressen, so weit geht die Liebe nicht, das könnte denen so passen, ich spreche viel lieber mit der Gartenbank draußen, was sagst du?, nein, mit den Bäumen spreche ich nicht, die sind mir zu geschwätzig, ehrlich gesagt, ebenso mit den Wärtern, nur das Nötigste, und mit den Mauern?, nein, lieber nicht, ich hab meine Schwierigkeiten mit denen, sie sind es immerhin, die mich einschließen, da kann ich nicht einfach drüber hinwegsehn, ich kann nicht mehr ohne sie leben, ja, aber reden mit ihnen?, ich nehme es ihnen übel, daß sie da sind, das ist doch verständlich, oder?, aber mit dir, meine Liebe, sprech ich am liebsten, immer noch und immer wieder, weil du mich am besten verstehst, weil du mir antwortest, und nie das Gespräch verweigerst, immer zeigst du dich von der freundlichsten Seite, ich weiß das zu schätzen, weißt du noch?, was war das für eine unerwartete Großherzigkeit, als sie dich anschafften damals, jeden Montag darf ich dich besuchen, jeden Montag Gespräche mit einer Frau und Besuchszeit den ganzen langen Vormittag, so großzügig sind sie sonst nicht, die Herren hier, ja ja ja, rum tata zisch, ja ja ja ja, sie sind vernünftiger geworden, seit ich vernünftiger geworden bin und kein Waschpulver mehr fresse, ja, warst du da schon bei mir?, nein, natürlich nicht, du hast recht, das war lange vor deiner Zeit, meine Liebe, alles hab ich früher versucht, um hier raus zu kommen, Waschpulver gefressen, jawohl scheußlich, sag ich dir, du hast ja keine Ahnung, was man tut, um hier rauszukommen, wenn man jung ist wie ich es war und gesund, kerngesund, das war einmal, monatelang auf einen neuen Trick lauern und dann schaffst du es, liegst flach auf der Bahre und hast das erhebende Gefühl, der Schreck in den Gesichtern der Wärter, der Sanitäter, der Ärzte und Direktoren, daß ihnen beinah der Keller krepiert wäre, dieser Schreck, zwei Millimeter tiefer und die Lebensstellung wäre hin gewesen, also umhegten sie mich, also drehte sich alles um mein persönliches Wohlergehen, das hat mich dann wieder stolz gemacht aufgerichtet für eine Weile, aber dann die alte Kraft des Rebellen, den Verrückten hab ich gespielt, bis ich selbst fast verrückt wurde, mein Gedächtnis hab ich abzuschalten versucht, bis ich wirklich nicht mehr wußte, mit wem ich es zu tun hatte, mit eisernem Willen, eisern, eisern, eisern, sag ich dir, nur mit Wilenskraft, ich habe immer wieder das Essen verweigert, gehungert, habe am Tag geschrien und in der Nacht, habe weggehört und Befehle mißachtet, ja, ich habe geschrien, bis die Kameraden verrückt wurden, das muß man erst einmal durchhalten, was ich durchgehalten habe, als ich nur eines wollte, rauskommen und den Wiederaufbau des Reichs in die eigenen Hände nehmen, meine Pflicht tun und sonst nichts für unser armes Volk, rauskommen, wie und wo auch immer, das war mein einziges Ziel, war, ich betone das Wörtchen war, meine Miele, nein, nicht daß du mich falsch verstehst jetzt, ich bedaure nichts, wie ich keinen Schritt meines Le bens bedaure schon aus Prinzip und Selbstachtung, ich würde alles noch einmal machen, alles noch einmal, der ewige Kreislauf, rum tata rum tata rum, erst seit ein paar Jahren spüre ich wieder so etwas wie Lebenslust, du verstehst, erst seit ich dich habe, meine Miele, geht es mir besser, ich sehe dir zu, ich höre dir zu, ich rieche dich, ich fühle dich, ich spreche mit dir, du säuberst meine Sachen, es wird wirklich alles sauber mit dir, du arbeitest sauberer als ich, und das will was heißen, ich war der sauberste von allen Kameraden, in jeder Beziehung übrigens, ich darf mit Fug und Recht sagen, immer sauber geblieben bin ich, mein Leben lang, ob in Freiheit oder in Haft, ich habe auch diese schmutzigen Hefte mit den Nacktfotos abgelehnt, die uns die Wärter hin und wieder mal anboten unter der Hand, ich habe diese Fotos nicht einmal angeschaut, meine Liebe, das kann ich schwören, das schwöre ich dir, aber wir brauchen mehr solche Maschinen wie dich, wie oft hab ich mich geweigert, die Toiletten zu reinigen, wie oft und erfolglos, es ist eine Schweinerei und es bleibt eine, und ich denke immer, man könnte mich sehen dabei, den Mann, der so lange in Deutschlands Licht stand, gedemütigt beim Scheiße–Putzen, Verzeihung, aber so ist es doch, ich habe auch versucht, mich herauszuhalten aus der Gartenarbeit unserer Streber und alle haben mich schikaniert dafür, und das Arbeiten im Garten ging ja noch, aber nicht auf Befehl der Russen, nein, niemals, da bin ich konsequent und stehe zu meinen Entschlüssen, wenn sie nur einmal gefaßt sind, ich hasse es nämlich, wenn man mich zwingen will, und mit Erfolg habe ich mich geweigert, auch nur eine Gießkanne zu tragen, wenn ich sie nicht tragen wollte, und was würden die Leute draußen sagen, wenn sie mich so sähen, sie könnten mich ja vielleicht erkennen von einem der hohen Gebäude in der Nachbarschaft mit dem Fernglas, und dann würden sie wirklich denken, daß ich wirklich verrückt sei, der berühmte Keller, der Stellvertreter persönlich, schleppt eine Gießkanne; nein, ich denke nicht daran, so etwas zu machen, zumal, wenn es Maschinen gibt, hab ich nicht recht, meine Miele, na prima, du verstehst mich, du gibst mir recht, das tröstet mich immer wieder, dieser Waschtag mit dir, es ist besser, allein zu sein mit dir als früher mit den Kameraden, den treulosen Hunden, alle, endlich allein, so wie ich als Flieger allein war, allein mit meiner Maschine, ja, natürlich ist das ein Kompliment, meine Miele, wenn ich dich mit meiner Messerschmidt vergleiche, meiner Me 110, beim Fliegen, da fühlte ich mich wie der Fisch, im Wasser der Fisch, und jetzt, na, du weißt selbst, wie es ist mit uns beiden, Me 110, ein schöner Name, findest du nicht auch?, meine Miele, meine Mi..., sag mal, da fällt mir was ein, darf ich dir einen neuen Namen geben?, darf ich dich Mi 110 nennen?, ja?, ja?, du bist einverstanden?, oh ich danke dir, meine Liebe, Mi 110, du weißt gar nicht, wie sehr ich dich gern hab, meine Mi 110, es ist so angenehm, mit dir jeden Montag zu reden, weißt du, als die Kameraden noch hier waren früher, ich weiß schon nicht mehr, wie viele Jahre, als wir hier die Wäsche wuschen, ja, genau in diesem Raum und von Hand, das mußt du dir mal vorstellen, die führenden Männer des Reichs schrubbten hier mit ihren eigenen Händen, mit Kernseife und Seifenpulver die Laken sauber, die Unterwäsche, ja, du hast richtig gehört, die Unterwäsche auch, ich habe manchmal die Augen zugemacht beim Waschen, ich hätte es nicht ausgehalten, wenn ich Fleisch esse, muß ich immer an das arme Tier denken, das sein Leben lassen mußte für mich, und wenn ich schmutzige Unterwäsche sehe, dann muß ich daran denken, daß auch wir nichts anderes als ein Exkrement sind, wenn du verstehst, was ich meine, an den Schweiß muß ich denken, an die Schweißdrüsen, an die armen Körper, die sich in dieser Wäsche aufgehalten haben und eingezwängt waren, hineingefressen, nicht wahr, ach was red ich da von der Wäsche, von diesen Innereien, auch du machst die Augen zu und wäschst, ja ja ja, rum tam tam tum ta ta, du bist gut, und du hast es gut, hab ich nicht recht?, ja, ich wußte doch, daß du zustimmst, du kannst es allen sagen, daß du es gut hast bei mir, meine Mi 110, du bist eine Prominentenwaschmaschine sozusagen, du bist geadelt durch mich, könnte man sagen, durch meine Wäsche, die durch dich hindurchgeht und dich erhebt, ja, ich wage zu sagen, erhebt, denn du bist durch ein gütiges Schicksal bewahrt vor Babywindeln und verdreckten Arbeiterhosen und vor den zwielichtigen Wäschestücken der Frauen, von denen das Schmutzige kommt, ja, ja, auch das ist wissen schaftlich erwiesen, mit all diesen Sachen hast du dich nicht herumzuschlagen, du hast es gut bei mir und ich habe es gut bei dir, nicht einmal Streit hab ich mit dir, weißt du, die Kameraden früher, es war, natürlich war es am Anfang wenigstens ein Lichtblick, wenigstens montags miteinander zu reden und Informationen auszutauschen, aber dann fingen immer mehr die Streitereien an, die Sticheleien, sie machten Witze über mich, wenn einer gehänselt wurde, dann war ich das, ausgerechnet ich, der am meisten die Würde bewahrt hat, der nicht schändlich die alten Ideale verraten hat, der Idealist, heutzutage, so wie ich einer bin, hat keine Chancen mehr, nicht einmal unter seinen alten Mitkämpfern, alles Verrat, alles Verrat, wir werden noch Wunder erleben, was alles verraten worden ist, ich will mich nicht aufschwingen zum Richter über meine Kameraden, das müssen sie mit sich selber ausmachen, das müssen sie vor ihrem eigenen Gewissen verantworten oder vor Gott, wie sie mit mir umgesprungen sind, sie hielten mich für einen Trottel, mich für einen Spinner, einen Ruhestörer, jawohl, ich habe ihre Ruhe gestört, ihre Selbstzufriedenheit, schon immer habe ich das Gute gewollt und den Frieden, und wie bin ich gestraft worden, ein Vegetarier aus tiefster Überzeugung und ein Mann des Friedens, wie jeder weiß, keiner, auch von meinen besten Kameraden keiner hat sein Leben eingesetzt wie ich, du weißt es, meine Mi 110, du hast mich nach England, nein, ich hab dich nach England, ja, du hast recht, wir sind zusammen nach England herübergeflogen, denn ich wollte den Frieden schon immer, den Frieden mit unserer westlichen Kultur, damit wir gemeinsam den Russen, ja, du hast recht, ich sollte das hier nicht so laut, ich stehe aber nun einmal zur Wahrheit, denn der Sieg, er wäre unser gewesen, wir hätten das Problem des Bolschewismus ein für alle Mal aus der Welt geschafft, allein konnten wir Deutschen das nicht schaffen, und niemand außer mir hat das vorausgesehen, wir haben, wir hätten alle die Sorgen nicht, die wir weltpolitisch Denkenden heute haben, wenn man mir nur geglaubt hätte damals, damals, da haben sie mich alle nur für verrückt gehalten, ich hab ihnen den Gefallen getan und immer mal wieder den Verrückten gespielt, denn ich kann Streit nicht ertragen, ich will ein Ja oder ein Nein und dann wird entsprechend gehandelt, ich kann es nicht ertragen, mißverstanden zu werden, nur du hast treu zu mir gehalten, meine liebe Mi 110, damals und heute, heute und damals, wir werden zusammen sterben, weißt du das?, und eines Tages werden wir beide vor dem Richterstuhl des Ewigen stehen und werden uns verantworten, und ich weiß, er wird uns nicht schuldig sprechen, er wird uns glauben, was uns die Menschen nicht glauben, was sie nicht denken wollen, stell dir nur vor, die Menschen hätten mir vertraut, ich wäre der geachteste Mann auf der Welt, mit Friedensnobelpreis bedacht, ja überhäuft mit Ehrungen hätte man mich, statt dessen sperren sie mich ein Leben lang ein, lebenslänglich, das wünsche ich keinem, auch meinen ärgsten Feinden nicht, es ist ein böser Einfluß in der Welt, der so etwas möglich macht, keiner weiß das besser als ich, es gibt geheime Kräfte, die die Menschen nach fremden Befehlen handeln lassen, es sind böse Mächte, die verhindert haben, daß man mich versteht, mich anhört, mich begnadigt und mir folgt, der ich als zweiter Führer ausersehen war, nein, ich klage nicht, meine liebe Mi, nein, das ist mir fremd, ich kann stolz sein und ich bin es, denn es war mir vergönnt, viele Jahre unter dem größten Sohn meines Landes in seiner tausendjährigen Geschichte zu wirken, (Waschmaschine geht in Schleudergang. Folgendes immer unverständlicher.) und selbst wenn ich könnte, ich wünschte nicht, diese Periode aus meinem Leben zu streichen, das wäre ja so, als würde ich mich selbst streichen, mich selbst wegwaschen, ich, mich, niemals, nein, meine Mi, das werden wir nicht zulassen, nein, du sollst mich nicht, nein, nein, es sind böse Mächte, laß es dir sagen, ich will mich nicht, sauber, du und ich, nicht streichen, immer sauber, nein, nicht mich, nicht ich, ich.
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