Immer mehr US-Soldaten wollen Golfeinsatz verweigern: Uncle Sam nimmt GIs als Geiseln
■ Während Gerüchten zufolge Saddam Hussein zu Kompromissen bereit ist, geht die Aufrüstung der USA kräftig weiter. Bis zu 100.000 in Deutschland stationierte GIs müssen damit rechnen, am Golf zum Einsatz zu kommen. Hunderte sind bereit, die Fahne zu verschmähen und sich dem Dienst mit der Waffe zu entziehen.
Während die deutsche Justiz verstärkt gegen Aufrufe zur Fahnenflucht von Friedensgruppen und von den Grünen vorgeht, klingeln beim „Military Counseling Network“ im rheinland-pfälzischen Kastellaun und bei den Grünen in Bonn und Bremen die Telefone heiß. In Deutschland stationierte amerikanische GIs, die sich mit Fahnenfluchtabsichten tragen, wollen sich dort beraten lassen. Über hundert Anrufe sind in Bremen und Kastellaun bereits aufgelaufen, von der deutschen Friedensbewegung wird die Zahl der desertionswilligen GIs jedoch auf mehrere hundert geschätzt. Man geht davon aus, daß viele der US-Soldaten sich bis zum letztmöglichen Zeitpunkt bedeckt halten werden.
Jede Nachricht von einer Verschärfung der politischen Situation, aber auch das verstärkte Verteilen von Info-Flugblättern vor den Kasernentoren durch deutsche Friedensgruppen oder Verweigererorganisationen wie die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) lassen die Zahl der Anrufe hochschnellen. Bis zu zehn sind es täglich beim „Military Counseling Network“, hauptsächlich aus den Stationierungsorten um Frankfurt, Nürnberg, München, Stuttgart, aber auch aus dem Hunsrück und dem Raum Bremen. In Berlin sind bislang keine Desertionsabsichten bekannt geworden.
Von den 250.000 in der Bundesrepublik stationierten GIs sollen nach Angaben der Friedensbewegung rund 100.000 an den Golf geschickt werden, die US-Armee spricht von 50 bis 100.000. Den Berufssoldaten drohen bei Befehlsverweigerung oder Desertion drakonische Strafen von bis zu fünf Jahren Gefängnis. Bei Desertion ist ihnen die Einreise ins Heimatland nicht mehr möglich. Doch momentan schützen weder die Befehlsverweigerung, noch ein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung oder auch das Ablaufen der Dienstzeit nicht vor einem Einsatz im Golf. Die Soldaten werden in jedem Fall nach Saudi-Arabien an ihre neuen Standorte gebracht, teilte die US-Armee am vergangenen Freitag mit.
Hundert Anrufe beim „Military Counseling Network“
Beim „Military Counseling Network“, dem Beratungstelefon, hatten die Pazifisten Cathy Stoner und ihr Mann Andre in den vergangenen Jahren eine relativ ruhige Zeit, nun läuft der Laden auf Hochtouren. Rund 100 Anrufe haben die beiden bereits erhalten. Cathy Stoner rechnet in den nächsten Tagen und Wochen mit den ersten Verhaftungen, weil dann das Truppenausfliegen gen Golf beginnt. Cathy Stoner kritisiert die Absicht der US-Armee, auch die Befehlsverweigerer mitzunehmen, als „Geiselnahme“.
In Schweden kein Asyl mehr für GIs
Die Bremer Grünen, die vor einer Woche unter dem Stichwort „Aktion Winterurlaub“ zur Unterstützung desertionswilliger US-Soldaten aufgerufen hatten, bekamen schon mehr als 30 Anrufe — die Bremer wollen in Zusammenarbeit mit süddeutschen Friedensgruppen US-Deserteure konspirativ ins Ausland schaffen. Nach Jugoslawien und Schweden soll die Reise gehen. Wobei die schwedische Regierung allerdings schon erkennen ließ, daß die Praxis der sechziger Jahre während des Vietnamkrieges nicht mehr möglich ist. Damals erhielten desertierende GIs in Schweden Asyl. Politische Gründe, wie die Zustimmung Schwedens zu allen UNO-Resolutionen zum Golfkonflikt, stünden dagegen, ließ die schwedische Regierung unlängst verkünden. Bereits vor einem Jahr hatte die Regierung Carlsson das Ausländergesetz verschärft und dabei auch das bis dahin geltende Asylrecht für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure gestrichen.
Die Bremer Grünen haben deshalb angekündigt, nun auch Kontakt mit den Botschaften Österreichs und der Schweiz aufzunehmen. Über den Erfolg der Gespräche konnten die Bonner Grünen gestern noch keine konkreten Angaben machen. Hans-H. Kotte
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