: Immer gut beraten bei Ihrem Arbeitsamt
Eine Angestellte des Reichenbacher Arbeitsamts vermittelt Frauen als „Begleiterinnen“ für Geschäftsleute an einen westdeutschen Unternehmer/ Viel Geld können die Frauen nur durch Prostitution verdienen/ Wie kommt der westdeutsche Hintermann an die Adressen der Frauen? ■ Aus Plauen B. Markmeyer
Anfang März bekamen die Welzers* Besuch. Sabine Welzer holt ihre zwanzigjährige Tochter in die Stube: „Da ist ein Mann, der hat Arbeit für dich.“ Höflich, aber ohne Umschweife erklärt der etwa 50jährige Besucher, was er der Tochter, Marion Dasse, anzubieten hat. Sie solle abends Geschäftsleute aus dem Westen unterhalten, sie ins Theater, ins Restaurant oder in die Disco begleiten. Im nächsten Vierteljahr werde er im Vogtland einen „Managerservice“ aufbauen, über den Marion vermittelt würde. Dann kommt der Mann zum entscheidenden Punkt.
Es könne passieren, daß der eine oder andere Herr „Näheres“ verlange. Marion müsse sich entscheiden, wie weit sie gehen wolle, und das Honorar „dafür“ selbst festlegen. Der Besucher lockt Marion, die jetzt von 435 Mark im Monat lebt, mit einem Verdienst von 5.000 Mark pro Woche. Sie brauche nichts zu unterschreiben, zwischen ihr und ihm als Chef werde es „kein normales Arbeitsverhältnis“, sondern ein „partnerschaftliches Verhältnis“ geben. Was sie tue, tue sie freiwillig. Sex mit den Geschäftsleuten sei kein Muß. Er selbst aber werde Marion „schulen“, ihre Umgangsformen und ihr Aussehen verbessern.
Mutter und Tochter finden den akkurat frisierten Gast im Anzug, der mit einem BMW angereist ist, sich als Robert Falter vorgestellt und eine Adresse in der Nähe von Ulm angegeben hat, nicht aufdringlich, sogar seriös. Doch zwei Dinge machen Sabine Welzer stutzig. Woher kennt Herr Falter ihre Adresse? Das will der Besucher nicht verraten. Wie hat er die Tochter gefunden? — Immerhin heißt sie anders als ihre Eltern, deren Name auf dem Klingelschild des Mehrfamilienhauses steht. Und woher weiß er, daß Marion arbeitslos ist? Auch hierauf erhalten Mutter und Tochter keine Antwort. Die Tochter erbittet sich Bedenkzeit. Falter sagt, er werde demnächst wiederkommen. Die Mutter beruhigt sich damit, daß seit der Maueröffnung gegen Geld offenbar jede Adresse zu haben ist.
Marion Dasse erzählt einer Freundin von Falters Angebot, auch die Freundin ist interessiert. Bekannte warnen die Frauen. Was ihnen da offeriert werde, sei schlicht Prostitution. Marion, die sich selbst als „ein bißchen naiv“ findet, meint, sie werde sich schon durchmogeln, ohne mit den West-Männern aufs Hotelzimmer gehen zu müssen. Sie braucht Geld.
Am Freitag nachmittag letzter Woche besuchte Herr Falter in Begleitung einer Frau die Welzers zum zweiten Mal. Mutter und Tochter kennen die Begleiterin. Sie sitzt in der Anmeldung des Reichenbacher Arbeitsamts, wo Marion Dasse und Sabine Welzer als Arbeitssuchende registriert sind. Frau Schmidt entpuppt sich als ostdeutsche Geschäftspartnerin von Falter. Sie wird die Frauen betreuen, die im Vogtland für Falters „Begleitagentur“ arbeiten wollen. Mit ihrem Job beim Arbeitsamt habe das nichts zu tun, versichert Hilde Schmidt. Trotzdem verfehlt ihr Auftritt nicht seine Wirkung. „Wenn eine so seriöse Frau dabei ist, kann das nichts Schlimmes sein“, denkt sich Sabine Welzer.
Frau Schmidt erzählt, ihr Mann betreibe einen „Erotik Shop“ in Reichenbach und nennt den Laden als Anlaufstelle für alle weiteren Kontakte. Sie gibt den Welzers aber auch ihre Telefonnummer beim Arbeitsamt. Marion hat nach dem zweiten Besuch den Eindruck, sie könne das Angebot nun kaum noch zurückweisen. Sie will keine Schwierigkeiten mit dem Arbeitsamt, fürchtet um ihr Geld. Ab Mai wird sie sich umschulen lassen, den „Begleitservice“ könnte sie nebenbei machen. Ihre Mutter ist beunruhigt, aber äußerst zurückhaltend. „Eigentlich ist das fast eine Zumutung“, sagt sie. Ein Bekannter bei der Polizei meint ohne zu überlegen, wenn das Arbeitsamt mit der Sache zu tun habe, müsse es korrekt zugegangen sein. Und auch Lothar Welzer ist nicht auf die Idee gekommen, das Gespann Falter und Schmidt einfach vor die Tür zu setzen. Die Familie ist unsicher. Ein Umstand, den Falter, der nach eigenem Bekunden in Westdeutschland eine Sexshopkette betreibt, zweifellos zu schätzen weiß.
Die Welzers fragen sich inzwischen, ob Herr Falter, den sie nie vorher gesehen hatten, seine weitreichenden Informationen vielleicht über Frau Schmidt bezieht? Marion ist in Gedanken ihre Umgebung durchgegangen. Niemand kommt als Mittler in Frage. Vorher hatte sie eineinhalb Jahre in Bayern gearbeitet. Niemand konnte von der Adresse bei ihren Eltern wissen. Falter wußte außerdem, daß Marion schon längere Zeit arbeitslos ist. Spricht er auch andere Frauen so an wie sie? Und woher wußte er, sinniert Marion, wie sie aussehe, ob sie für seinen „Begleitservice“ in Frage komme?
Hilde Schmidt arbeitet im Zimmer 3 des gut besuchten Reichenbacher Arbeitsamts. Im zugehörigen Warteraum nebenan liegen Karteikarten. Alle, die sich arbeitslos melden, müssen diese Karten ausfüllen, Name, Adresse, Beruf und bisherige Arbeitsverhältnisse eintragen. Der Reihe nach werden die Wartenden dann ins Zimmer 3 zur Anmeldung gerufen. Ihre Karten gehen zunächst über die Schreibtische von Frau Schmidt und ihrer Kolleginnen. Erst dann kümmern sich verschiedene SachbearbeiterInnen um die Erwerbslosen.
Ja, Frau Schmidt ist einen Moment allein zu sprechen. Wir suchen eine ruhige Ecke im Flur. Ja, sie vermittle junge Damen für einen „Begleitservice“. Aber nicht hier im Amt. Der Arbeitgeber sei ein Westdeutscher. Am 8. April komme der Herr wieder in die Gegend. Man müsse einen Termin ausmachen, vielleicht ein Gespräch bei einer Tasse Kaffee? Nein, hier auf dem Flur könne sie nichts Näheres sagen. Zurück im Büro, schreibt Frau Schmidt ihre Amtsdurchwahl auf einen Zettel mit Reklame für ein Mittel gegen Gicht: „Sie können mich hier anrufen.“ Ihr Dienst gehe bis 16 Uhr. Das Diensttelefon bewährt sich. Mit einem Anruf ein paar Stunden später ist das Treffen mit Frau Schmidt und ihrem westdeutschen Kompagnon perfekt. Treffpunkt: der „Adler“ in Reichenbach. Bei dieser Arbeitsanbahnung genügt Hilde Schmidt der Name der interessierten Dame. Keine Karteikarte, keine Wartezeit.
Ein Besuch im Sexshop ihres Mannes schließlich in einem kleinen, am Hang gelegenen Haus schafft fast erfrischende Klarheit. Hatte Frau Schmidt auf dem Amtsflur die „Begleitagentur“ noch wie eine Börse für gebildete Gesellschafterinnen aus dem letzten Jahrhundert dargestellt, redet ihr Mann zwischen Plastikpenissen und Gummipuppen Klartext. Ja, man suche Damen für einen „Begleitservice“. Sie könnten ihre Dienste selbstverständlich mit oder ohne Sex anbieten, alles „auf freiwilliger Basis“. Die meisten Herren allerdings, „ausgewählte Geschäftsleute aus dem Westen, aber auch Manager von uns hier“, wollten abends Sex und nicht bloß einen Theaterbesuch. Ohne sexuelle Dienstleistungen kämen die Damen folglich „nicht oft zum Einsatz“.
Was ohne Nummer im Hotelzimmer zu verdienen ist, kann Herbert Schmidt nicht sagen. „Wenn Sie aber zum Sex bereit sind, haben Sie nach zehn Jahren ausgesorgt.“ Das weiß Herr Schmidt von seinem Arbeitgeber: eben jenem Robert Falter, der mit Frau Schmidt bei Marion und ihren Eltern in der Stube saß. „Ein seriöser Herr“, versichert Herr Schmidt, der im Westen schon seit 20 Jahren im Geschäft sei und dort auch eine solche Agentur angemeldet habe. Seit einem Jahr ist Schmidt bei Falter angestellt. Er hält den „Erotik Shop“ von zehn Uhr morgens bis abends um neun auf. Der Westler hat den Laden mit allem beliefert, was Ostdeutsche bisher entbehren mußten, im hinteren Raum die härtere Ware: Schwangeren-, Fessel- und Fäkal-Pornos, privat gedrehte Hardcore-Videos.
So drastisch wird es wohl bei den Damen der „Begleitagentur“ nicht zugehen, aber zweifellos geht es um Prostitution. „Die Herren dürfen nur mit Kondom“, sagt Herbert Schmidt mit unüberhörbarem Bedauern. „Es sei denn“, fügt er hinzu und versucht, durch seinen spitzen Bart gewinnend zu lächeln, „die Dame selbst will das nicht.“ Selbstverständlich liefe alles ganz diskret. Keine Frau brauche ihren richtigen Namen zu nennen. Einen Tag nach dem Dienst am Mann würde gezahlt. Seine Gattin würde das Geld anweisen. Ein merkwürdiges Verfahren — normalerweise kassieren Prostituierte vor der Arbeit. Was Herr Schmidt über die Bezahlung erzählt, deckt sich außerdem nicht mit Falters Lockangebot in der Welzerschen Wohnstube.
Falter und das Ehepaar Schmidt annoncieren in Lokalzeitungen des Vogtlands mit einem Inserat, das nichts vom harten Prostitutionsgeschäft ahnen läßt: „Für Begleitagentur im Raum Chemnitz-Plauen- Reichenbach werden attraktive Damen (Hausfrauen, Studentinnen, Berufstätige) gesucht“, heißt es beispielsweise am zweiten Märzwochenende in der Plauener 'Freien Presse‘. Auf diese Chiffreanzeige, so Herbert Schmidt, hätten sich bereits etliche Interessentinnen gemeldet. Marion Dasse und ihre Eltern jedoch haben die Anzeige nie gesehen, schon gar nicht haben sie an die Chiffreadresse geschrieben.
Frau Schmidt, mit dem Verdacht konfrontiert, Frauen in die Prostitution zu vermitteln, und dazu womöglich Adressen aus den Arbeitsamts- Daten an ihren westlichen Geschäftspartner weiterzugeben, streitet beides energisch ab. Die „Begleitagentur“ habe nichts mit dem „Rotlichtmilieu“ zu tun: „Ich verwahre mich von vornherein schon gegen diesen Ausdruck!“ Genauso sicher ist Frau Schmidt, daß „ich hier [im Arbeitsamt, d.Red.] meine Datensachen nicht verletze“. Woher ihr Hintermann Falter dann Marion Dasses Adresse hat? Dazu will sie nichts sagen. Was sie aber sagen könne: „Wir sprechen keine Leute einfach so an.“ Wer das behaupte, den werde sie „wegen Rufschädigung anzeigen“. Alle Damen für die „Begleitagentur“ hätten sich auf die Zeitungsanzeige gemeldet.
Marion Dasse hat sich jetzt ein Herz gefaßt. Beim nächsten Besuch von Herrn Falter wird sie das Arbeitsangebot in Sachen „Begleitagentur“ ablehnen. Dafür beginnt sich die Plauener Kripo für die ungewöhnliche Arbeitsanbahnung zu interessieren. Man habe, sagt ein Beamter, bereits Hinweise auf einen weiteren „ganz ähnlichen Fall“.
*) Alle Namen und einige Orte wurden von der Redaktion geändert.
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