: Immer brav im Kreis rumkugeln
Theresia Walsers „So wild ist es in unseren Wäldern schon lange nicht mehr“ im Amerikahaus ■ Von Petra Schellen
Jaja. Die Ästhetik ist zeitgemäß: Verlotterte Parkbank, städtischer Papierkorb, kaltes Grünlicht von oben. Dazu drei Jungs, in autistischen Monologen umeinander kreisend, verschiedene Grundmus-ter präsentierend: den Aktiven, der Filmgeste auf Filmgeste imitiert, den Ewigen Selbstmörder und den verliebten Träumer: „Knabe A“, „Knabe B“ und „Knabe C“ nennt Theresia Walser die drei männlichen „Grazien“, die aus den Tiefen des Großstadt-Orkus auf uns blicken. Pflichtschuldigst neonbeleuchtet übrigens von den RegisseurInnen Dorothea Pudenz und Andreas Kebelmann.
Name und Ort des Geschehens: So wild ist es in unseren Wäldern schon lange nicht mehr beim Theaterfestival Die Wüste lebt im Amerikahaus. Fehlt nur noch Totenfährmann Charon – und vielleicht Orpheus, der Eurydike aus der Unterwelt holen will.
Aber so schlicht Narratives präsentiert Theresia Walser natürlich nicht: Eine Zeitlang muss das Publikum es schon ertragen, das Changieren zwischen Film- und Echtzeit-Ebene. Und einige Szenen lang muss man sie schon anhören, die versatzstück-getränkten Dialoge der Jungs, deren Darsteller schon viel zu alt sind fürs Pubertieren. Aber vielleicht liegt in der Weigerung, erwachsen zu werden, ja die eigentliche Echtwelt-Imitation.
Ein Abbild des Jugendkults hat Walser hier versucht, hat labbrige Knaben über „einzigartige Lippen“ faseln lassen, hat sie dann und wann schwärmerisch auf das eigene Plakat-Konterfei blicken lassen, als brodele da oben das wirkliche Leben. Hilflosigkeit angesichts der Herausforderung Leben schwingt mit in den Reden der Jünglinge, ein abgekupfertes Gestenrepertoire beherrscht ihre Bewegungen. Und wenn einer den anderen provoziert, dann allenfalls aus Langeweile und tunlichst ohne Grund.
So weit, so zeitgemäß, und dass dies nur die eine Seite der Münze ist, dass selbstverständlich zu den Wurzeln solcher Verzweiflung vorgedrungen werden muss, hat man sich schon fast gedacht: Ein channelartiges Rauschen deutet den Szeneriewechsel an, und Bonanzaklänge schallen auf uns nieder, eingehüllt in grünrosa Wolken. Herfür tritt ein Heile-Welt-Ehepaar, direkt entsprechenden US-Serien entsprungen. Zwischen ihnen, mit Tüte auf dem Kopf: der Sohn, der Selbstmörder von vorhin. Und los braust der Slapstick, in dessen Verlauf die Eltern ihr altes Leben samt Sohn über Bord zu werfen suchen und einander allerlei Talkshow-Blödsinn zumuten: mediales Müllgeschwätz, für Privatheit, gar Intimität nicht tauglich.
Naiv bis zum Wahnsinn ist die Frau, wenn sie vom „Beinchen“, das der Hauptdarstellerin aus dem Fernseher hing, erzählt. Plump lächerlich wirkt der Mann, der von seinem unvollendeten Regal (aha: unfertiger Lebensentwurf!) faselt.
Schlichte Bilder sind's, nette Kalauerchen – nur dass die Szene über das reine Slapstick-Imitat nicht hinauskommt. Und dass das Kind die Eltern an der Selbsverwirklichung hindert („da friert einem ja die Zukunft ein“), wusste man eigentlich auch schon. Zudem ist der Junge, der da zwischen den Naivlings-Eltern sitzt, leider überhaupt nicht nach deren Vorstellung geraten. Falls sie je eine hatten.
„Die Nachkommen der Androiden“ könnte man das Stück vielleicht nennen, das die Verzweiflung einer Generation formuliert, die sich vielleicht aus purer Langeweile irgendwann selbst vernichten wird. Verzweifelt versucht auch das Stück, mal den Film Harold und Maude („spiel hier nicht den Toten“), mal Wedekinds Frühlings Erwachen zu zitieren. Dabei bemüht sich das Regieteam nach Kräften, die Ebenen zu verschränken, geheimnisvoll zu machen, was offensichtlich ist und eine Neue-IT-Welt-Ästhetik zu erschaffen, die René Pollesch besser gelang. Einen Spiegel hält die Autorin der Gesellschaft vor, ein Abbild von Kommunikationsarmut und Ratlosigkeit angesichts der Aufgabe Leben, auf die schon die Eltern keine Antwort wussten.
Doch letztlich drehen sich Text und Inszenierung stetig im Kreis, wird doch die Ursache für die Misere stur im Phänomen „Medien“ gesucht: Sündenbock geortet, Diskussion focussiert. Tiefer greift die Analyse nicht, komplexere Zusammenhänge werden nicht in Betracht gezogen; Motto: Immer schön an der (Benutzer-) Oberfläche bleiben. Da helfen auch sprachliche Highlights wie „irgendwas frisst meinen Weg“ nicht viel, da trösten auch die komisch-raffinierten Monologe des Ehemanns über die winzigen „Völkchen“ nicht mehr, die er am Boden wandeln sieht.
Und richtig wütend macht Theresia Walsers Versuch, in all das Androidengeschwätz noch schnell politically Korrektes hineinzuzwängen: Kaum motiviert, müssen gegen Schluss noch Brax' Träume von „Kolonnen von Polen auf Obstplantagen“ (Achtung: Saisonarbeiter-Problematik!) rezitiert werden. Peinlich oberflächlich wirkt auch die Präsentation des tumben Türken, der auf seine nie gesehene Frau wartet (Achtung: Macho-Türkei!).
Zur politisch kritischen Autorin adeln solch flugs aufgeklebten Labels allerdings nicht, zumal man anno 2001 zu diesen Themen Differenzierteres hätte erwarten können. Aber vielleicht war's ja nur ironisch gemeint oder sollte gerade durch klischeehafte Schlichtheit bestechen und die Existenz von Labels jeder Couleur thematisieren – wer kann das schon wissen?
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