Imam-Ausbildung: „Die Politik hat das Thema verschlafen“
In Osnabrück soll in diesem Jahr der Studiengang Islamische Theologie beginnen. Der Religionswissenschaftler Rauf Ceylan über die Notwendigkeit, Imame in Deutschland auszubilden.
taz: Sie haben über Imame in Deutschland geforscht. Was ist dran am Bild des Hasspredigers, Herr Ceylan?
Rauf Ceylan: Das ist eine mediale Konstruktion, die suggeriert, dass ein Großteil der Imame dieser Kategorie zuzuordnen ist. Richtig ist, dass es in Deutschland eine Randgruppe gibt, die der fundamentalistischen Szene zuzuordnen ist, in der auch solche Prediger vorkommen. Allerdings ist der größte Teil der Imame nicht als Hassprediger einzuschätzen. Die Probleme liegen anderswo.
Wo?
35, geboren in Duisburg, Islam- und Migrationsforscher, ist seit 2009 Professor für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück. Er veröffentlichte die Studie "Prediger des Islam: Imame in Deutschland".
Die Erwartungen, die man an sie in Deutschland und in ihren Herkunftsländern stellt, sind sehr unterschiedlich. Dem Imam wird im Herkunftskontext eine historisch gewachsene und theologisch definierte kulturelle Rolle zugeschrieben. Allerdings hat sich die Imamrolle in Deutschland verändert. Sie werden hier, in der Diaspora, mit Ansprüchen junger Gemeindemitglieder und gesellschaftlichen Integrationsanforderungen konfrontiert. Dafür sind sie nicht qualifiziert.
Imame sind wichtig für die Integration?
Unter anderem. Es geht um das Binnenleben der Moscheegemeinden. In deren Vorständen findet zunehmend ein Generationenwechsel statt. Die dritte Generation, insbesondere Frauen, wird aktiver. Das sind in der Regel Menschen, die in Deutschland sozialisiert wurden und interreligiöse Dialoge führen. Wenn sie sehen, dass Priester seelsorgerisch und sozialpädagogisch tätig sind und Kinder- und Jugendarbeit leisten, übertragen sie diese Funktion auch auf ihre Imame. Die sind damit aber in der Regel überfordert, weil sie das in ihren Herkunftsländern nicht machen mussten.
Liegt das daran, dass 90 Prozent der Imame nicht aus Deutschland kommen?
Ja. Das sind Fragen der Sozialisation, vor allen Dingen der wissenschaftlichen Sozialisation. Theologie ist immer kontextuell gebunden. Das bedeutet, dass ein Imam die gesellschaftlichen Verhältnisse sehr gut kennen muss. Er ist Ansprechpartner bei Ehekonflikten, bei Jugendproblemen. Allerdings muss man auch hinterfragen, inwieweit diese Zuschreibungen berechtigt sind. Ich bin der Meinung, dass ein Imam eine Brückenfunktion hat. Er muss geistig hier ankommen, und er muss Vertrauen in die Netzwerke gewinnen können, um vermitteln zu können.
Er sollte also ein Paar mit Eheproblemen an eine Beratungsstelle verweisen?
Genau. Als erste Anlaufstelle ist er für religiöse Familien sicher nicht falsch. Seine Funktion liegt aber darin, dass man ihm vertraut, und nicht, dass er tatsächlich für die Beratung zuständig ist. Darüber hinaus hat seine Tätigkeit auch eine dialogische Komponente. Die Freitagspredigten in den Moscheen gehören zu den wenigen Möglichkeiten der meisten Muslime in Deutschland, bei denen man sich über islamische Religion authentisch informieren kann. Bisher hat nur ein Bruchteil der Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit, an einem Schulversuch für islamischen Religionsunterricht teilzunehmen. Für religiös orientierte Muslime bleibt meistens nur die Moschee, insbesondere das Freitagsgebet, das überall gut besucht ist. Das gilt übrigens auch für Kirchengemeinden mit vielen polnischstämmigen Mitgliedern. Auch dort sind die Gottesdienste gut besucht. Wenn die Predigten aber bei der Integration helfen sollen, müssen sie an die Lebensrealität der Muslime in Deutschland anknüpfen. Ich habe bei meinen Untersuchungen festgestellt, dass viele Imame sich nicht in Deutschland auskennen.
Wie können Imame in Deutschland besser qualifiziert werden?
Die Diskussion wurde von verschiedenen Seiten initiiert. Man muss allerdings sagen, dass die Politik das Thema lange verschlafen und die Bedeutung der Imame als theologische Referenzen gar nicht erkannt hat. Die Gemeinden selbst haben darauf zwar hingewiesen, aber es fehlte ihnen die entsprechende Aufmerksamkeit. Die Universität Osnabrück hat als erste Hochschule angefangen, zwei Schritte zu gehen. Seit 2010 bieten wir ein zweisemestriges Weiterbildungsprogramm für Imame an, die schon in Deutschland tätig sind. Die Ergebnisse zeigen, dass damit viele mentale Hürden überwunden werden. Die zweite Schiene, die große Lösung, soll ein Studiengang für Islamische Theologie sein. So müssen jungen Menschen nach dem Abitur nicht mehr zum Studieren ins Ausland gehen. Im Wintersemester 2012/2013 wollen wir mit diesem Studiengang in Osnabrück beginnen.
Sie meinen das Institut für Islamische Theologie. Was ist dort Ihre Funktion?
Meine Aufgabe als Religionssoziologe ist es, die künftigen Theologen von der Außenperspektive her zu begleiten, damit sie lernen, auch soziologische Fragen an ihre Religion zu stellen. Die Theologie hat dagegen eine andere Funktion. Sie beleuchtet die Binnenperspektive. Das ist ja auch bei den christlichen Theologen nicht anders. Das Besondere an Osnabrück ist der interreligiöse Ansatz, der sehr wichtig für uns ist. Denn mit dem Institut für Evangelische Theologie und dem Institut für Katholische Theologie haben wir schon seit 2007 durch den Studiengang Islamische Religionspädagogik sehr gute Erfahrungen gemacht. Das hat vor uns noch kein Institut angeboten.
Wie soll der Studiengang Islamische Theologie eigentlich aussehen?
Im Grunde nicht anders als in islamischen Ländern wie der laizistischen Türkei. In der Türkei gehören neben den Basiswissenschaften der islamischen Theologie wie Koraninterpretation noch die Bezugswissenschaften dazu, unter anderem Religionssoziologie. Dort achtet man darauf, dass Imame fähig sind, aus der Außenperspektive religiöse Themen zu reflektieren und sich in der Gesellschaft auszukennen.
Zum Imam ausbilden lassen kann man sich in Osnabrück aber nicht?
Nein, allein eine theoretische Qualifikation ist nicht ausreichend, ebenso ist ein praktischer Teil nötig. Daher ist die Kooperation mit Moscheegemeinden sehr wichtig.
Welche Rolle spielen Frauen in islamischen Gemeinden?
Eine sehr wichtige. Im Studiengang Islamische Religionspädagogik haben wir über 70 Prozent Frauen. Das ist deshalb interessant, weil in Zukunft nicht nur die Eltern oder Imame religiöse Autoritäten sein werden, sondern auch ReligionslehrerInnen. Imame können zwar nur Männer werden, so wie in der katholischen Kirche nur Männer Priester sind. Aber Frauen können in den Moscheen viele Rollen übernehmen. Dass sie immer wichtiger werden, liegt auch daran, dass sie selbstbewusster werden. Wir haben das erkannt. Deshalb heißt das Weiterbildungsprogramm an der Universität Osnabrück auch nicht Imam-Weiterbildung, sondern „Weiterbildungsprogramm für Imame und für das religiöse Betreuungspersonal“.
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