Im Zweifel gegen das Opfer

■ Gambier im Zug erstochen – Staatsanwalt fordert Freispruch

Bei „allem Respekt vor dem Opfer und seinen Hinterbliebenen: Freispruch“. Der Antrag von Staatsanwalt Helmut Hundt, ein zweites Mal den Mann laufen zu lassen, der den Gambier Kolong Jamba erstach, löste im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Stade verständnisloses Kopfschütteln aus. Selbst der Vorsitzende Richter Thomsen, der den Urteilsspruch für gestern fest angekündigt hatte, forderte nach dem unerwarteten Plädoyer eine „längere Beratungszeit“ und verschob die Urteilsverkündung auf Freitag.

Auf Freispruch für Winfried Sch. war schon einmal erkannt worden. Im Dezember 1993 hatte der Angestellte der Hamburger Umweltbehörde im Zug von Hamburg nach Buchholz i. d. Nordheide nach einem Streit über das Öffnen eines Fensters das Messer gezogen und den Gambier Kolong Jamba umgebracht. Damals, beim Prozeß im Frühjahr 1995, sprach das Landgericht Stade den Bauingenieur frei. In Notwehr habe er den Schwarzafrikaner erstochen, rekonstruierte das Gericht das Tatgeschehen allein aufgrund der Aussage des Angeklagten.

Doch der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil auf und wies den Fall zur erneuten Verhandlung nach Stade zurück: Da Winfried Sch. die tödliche Auseinandersetzung schuldhaft provoziert habe, hätte er sich bei der anschließenden Verteidigung zurückhalten müssen. Ehe er zustach, hätte er um Hilfe rufen können, denn vor der Tür standen Mitreisende.

Staatsanwalt Hundt, auch beim ersten Verfahren der Ankläger, wollte den Messerstecher damals wegen Totschlags für sechs Jahre hinter Gitter stecken. Obwohl er gestern nicht einen einzigen Zeugen zitierte und die erneute Beweisaufnahme damit schlicht aussparte, obwohl auch ihm „der Verlauf des Streits völlig unklar blieb“, steht für Hundt nun fest: Jamba sei der Angreifer gewesen, und Winfried Sch. habe sich nur wehren können, indem er ihn tötete.

Sein „Befremden“ darüber äußerte Nebenklageanwalt Georg Debler, der im Namen der Familie des Getöteten den Fall bis vor den BGH gebracht hatte: „Sie stellen die Tat so dar, als müsse nicht Winfried Sch., sondern Kolong Jamba auf der Anklagebank sitzen“, warf er Hundt vor. Und zu Winfried Sch. gewandt: „Sie wollen das Opfer sein. Doch Sie haben den Fehdehandschuh geworfen und den Streit bis zum Schluß durchgezogen. Sie sind der Täter“.

Eine feindselige Haltung gegenüber dunkelhäutigen Menschen bescheinigte Debler Winfried Sch., der Schwarzafrikaner vor Zeugen als „Bimbos“ und „Teerpappe“ bezeichnet hatte. Zwar sei Sch. kein Rassist, der seine Einstellung mit einem Button an der Jacke zur Schau stelle. „Doch wer hätte es vor den Ereignissen in Dolgenbrodt für möglich gehalten, daß eine Friseuse jemandem Geld dafür bezahlt, daß er ein Asylbewerberheim anzündet?“ Debler forderte eine Verurteilung wegen Totschlags.

Elke Spanner